9 Psychosoziale Therapien und unterstützende Maßnahmen
9.1 Ergotherapie
Auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit und insbesondere auf die Arbeitsfähigkeit gerichtete Maßnahmen sollten aus Sicht der Leitliniengruppe in der modernen sozialpsychiatrischen Versorgung bedarfsgerecht und personenzentriert sein und frühzeitig erfolgen, d. h. bereits während einer ambulanten Behandlung beginnen, sobald akute Symptome abgeklungen sind, um beispielsweise einem Verlust des Arbeitsplatzes vorzubeugen. Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung aus, weil die Evidenzbasis für ergotherapeutische Interventionen insgesamt schwach ist und weil die Indikation nur unscharf formuliert werden kann.
Für Empfehlungen zum Thema Teilhabeförderung siehe auch Kapitel 13 Medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe
Evidenzbasis
Die Empfehlung extrapoliert zusammenfassend die Empfehlungen der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878; für Evidenz zu den einzelnen Interventionen siehe dort. Zur Evidenz für arbeitsbezogene Ergotherapie siehe Kapitel 13.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Patient*innen mit Depressionen, insbesondere mit schweren oder chronischen Formen, sind häufig in der eigenständigen Lebensführung und/oder der Arbeitsfähigkeiten eingeschränkt und benötigen Unterstützung, um beispielsweise Antrieb, Motivation, Belastbarkeit, Ausdauer, Flexibilität und Selbständigkeit in der Tagesstrukturierung zu verbessern oder zu erhalten. Hier kann eine ergotherapeutische psychisch-funktionelle Behandlung hilfreich sein, deren Ziel die Stabilisierung und Besserung mentaler Funktionen, die Entwicklung, die Wiederherstellung und der Erhalt von Aktivitäten, die Stärkung von Eigenverantwortlichkeit, Selbstvertrauen und Entscheidungsfähigkeit sowie das Erlernen von Kompensationsstrategien ist.
Rechtzeitig bereits im ambulanten Bereich begonnen, könnte dadurch die Notwendigkeit z. B. schwieriger Wiedereingliederungsmaßnahmen nach Arbeitsplatzverlust vermieden werden. Aus Sicht der Leitliniengruppe sind die Möglichkeiten zum Training von Alltags- und sozialen Fertigkeiten im Rahmen der ambulanten Versorgung zu wenig bekannt und werden zu selten und/oder zu spät in Anspruch genommen.
Weiterführende Informationen: Verordnung von Ergotherapie
Im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung kann Ergotherapie im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung auf Grundlage der Heilmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses verordnet werden (§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 6 i. V. m. § 138 SGB V). Der Zugang erfolgt über ein ärztliches Verordnungsformular (Musterblatt 13), das Angaben über Diagnose, Leitsymptomatik und Therapiefrequenz enthält. Seit 2021 dürfen auch Vertragspsychotherapeut*innen Ergotherapie verordnen.
Die Verordnung von Maßnahmen der Ergotherapie kann im Rahmen der Diagnosegruppe "PS3" für wahnhafte und affektive Störungen/ Abhängigkeitserkrankungen erfolgen. Vor der Verordnung muss allerdings eine psychiatrische, neurologische oder psychotherapeutische Eingangsdiagnostik erfolgen.
Hinweis: Weiterführende Materialien zur Verordnung
- Detaillierte Hinweise zur Verordnung von Heilmitteln sind in der Broschüre "PraxisWissen: Heilmittel" der KBV zusammengestellt (www.kbv.de/media/sp/KBV_PraxisWissen_Medizinische_Rehabilitation.pdf). Zudem bietet die KBV zertifizierte Fortbildungen zu diesem Thema an.
- Eine weitere Broschüre der KBV fasst Informationen zur Verordung von Ergo- und Soziotherapie, psychiatrischer häuslicher Krankenpflege und medizinischer Rehabilitation speziell für Psychotherapie-Praxen zusammen (www.kbv.de/media/sp/PraxisWissen_Psychotherapeuten.pdf).
- Auch eine Praxis-Info der Bundespsychotherapeutenkammer bietet Unterstützung (www.bptk.de/publikationen/psychotherapeuten PDF: www.bptk.de/wp-content/uploads/2021/02/bptk_praxisInfo_ergotherapie_web.pdf)
- Der Deutsche Verband Ergotherapie stellt Hinweise zur Verordnung ergotherapeutischer Leistungen zur Verfügung: dve.info/ergotherapie/infos-fuer-aerzte/verordnung-ergotherapeutischer-leistungen
- Ausführliche Informationen zu Arbeitsfeldern und sozialrechtlichen Hintergründen von Ergotherapie bietet die S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878.
9.2 Soziotherapie
Auf die psychosoziale Funktionsfähigkeit gerichtete Maßnahmen sollten aus Sicht der Leitliniengruppe in der modernen sozialpsychiatrischen Versorgung bedarfsgerecht und personenzentriert sein und frühzeitig erfolgen, d. h. bereits während einer ambulanten Behandlung beginnen. Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung aus, weil die Evidenzbasis für soziotherapeutische Interventionen schwach ist und weil die Angebote nicht flächendeckend vorhanden sind.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Patient*innen mit Depressionen, insbesondere mit schweren oder chronischen Formen, sind häufig nicht in der Lage, ärztliche oder psychotherapeutische Behandlungen oder andere Leistungen selbstständig zu beantragen und in Anspruch zu nehmen. Soziotherapeutische Maßnahmen können hilfreich sein, um die Therapieadhärenz, aber auch die soziale Kontaktfähigkeit und Kompetenz sowie Eigeninitiative zu fördern. Aus Sicht der Leitliniengruppe sind die Möglichkeiten von Soziotherapie im Rahmen der ambulanten Versorgung zu wenig bekannt und werden zu selten und/oder zu spät in Anspruch genommen.
Evidenzbasis
Die Empfehlung extrapoliert zusammenfassend die Empfehlungen der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878; für Evidenz zu den einzelnen Interventionen siehe dort.
Weiterführende Informationen: Verordnung von Soziotherapie
Soziotherapeutische Interventionen als ambulante Versorgungsleistung sind in der Soziotherapie-Richtlinie geregelt. Sie dürfen verordnet werden, wenn dadurch Klinikaufenthalte vermieden oder verkürzt werden oder wenn eine stationäre Behandlung indiziert, aber nicht möglich ist. Bei unipolaren Depressionen ist eine Verordnung bei psychotischer Symptomatik möglich und/oder wenn Fähigkeitsstörungen in einem Maß vorliegen, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann. Das Ausmaß der Funktionsstörungen wird mittels GAF-Skala ("Global Assessment of Functioning Scale") erhoben; eine Verordnung kann ab einem GAF-Wert ≤ 50 erfolgen. In begründeten Einzelfällen kommt Soziotherapie auch bei depressiven Störungen ohne psychotische Symptome infrage, wenn der GAF-Wert ≤ 40 liegt. Die Verordnung darf durch Fachärzt*innen für Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Fachärzt*innen mit Zusatzbezeichnung Psychotherapie, in Psychiatrischen Institutsambulanzen tätige Fachärzt*innen sowie seit 2021 auch durch Vertragspsychotherapeut*innen erfolgen. Die dafür benötigte Abrechnungsgenehmigung kann bei der jeweiligen KV beantragt werden.
Erachten Ärzt*innen, die Soziotherapie nicht verordnen dürfen (z. B. Hausärzt*innen), diese Leistung als erforderlich, ist eine Überweisung an die genannten Fachgebiete notwendig. Nur wenn die Patient*innen es nicht schaffen, einen solchen Termin selbstständig wahrzunehmen, darf im Rahmen einer Ausnahmeregelung eine kurzzeitige Soziotherapie verordnet werden, die darauf zielt die Patient*innen zu motivieren, fachärztliche bzw. psychotherapeutische Angebote wahrzunehmen.
Soziotherapie muss vorab von der Krankenkasse der Patient*innen genehmigt werden.
Hinweis: Weiterführende Materialien zur Verordnung
- Detaillierte Hinweise zur Verordnung von Soziotherapie sind in der Broschüre "PraxisWissen: Soziotherapie" der KBV zusammengestellt (www.kbv.de/html/soziotherapie.php#content26845; PDF: www.kbv.de/media/sp/PraxisWissen_Soziotherapie.pdf).
- Eine weitere Broschüre der KBV fasst Informationen zur Verordung von Ergo- und Soziotherapie, psychiatrischer häuslicher Krankenpflege und medizinischer Rehabilitation speziell für Psychotherapie-Praxen zusammen (www.kbv.de/media/sp/PraxisWissen_Psychotherapeuten.pdf).
- Auch eine Praxis-Info der Bundespsychotherapeutenkammer bietet Unterstützung (www.bptk.de/publikationen/psychotherapeuten/ PDF: www.bptk.de/wp-content/uploads/2019/08/bptk_praxis-info_soziotherapie-richtlinie_August2020.pdf).
- Ausführliche Informationen zu Arbeitsfeldern und sozialrechtlichen Hintergründen von Soziotherapie bietet die S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878.
9.3 Selbsthilfe und Peer Support
Die konsensbasierte Empfehlung zielt darauf, dass diese Angebote der Selbsthilfe für Betroffene und Angehörige nicht immer ausreichend bekannt sind. Für eine Teilnahme spricht die Leitliniengruppe nur eine abgeschwächte Empfehlung aus, da den möglichen positiven Effekten von Peer Support potenzielle negative Effekte wie emotionale Destabilisierung durch Konflikte innerhalb von Gruppen oder Verunsicherung durch subjektiv gefärbte Empfehlungen gegenüberstehen. Hinzu kommt, dass die entsprechenden Angebote nicht überall verfügbar sind.
Zur Beschreibungen der verschiedenen Formen von Peer Support siehe Kapitel 4.7 Psychosoziale Therapien: Beschreibung und Zugang.
Evidenzbasis
Die Empfehlung extrapoliert zusammenfassend die Empfehlungen der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878; für Evidenz zu den einzelnen Angeboten siehe dort.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Peer Support zielt darauf, durch Einbeziehung von (einst) selbst betroffenen psychisch kranken Menschen die Selbstmanagement-Fähigkeiten der Patient*innen zu stärken – durch den Austausch über Probleme und Erfahrungen, durch Beratung und "Lotsenfunktion" bei Entscheidungen und Vorhaben, durch eine Vorbildfunktion wie auch durch die soziale Einbindung und die damit verbundenen aktivierenden Effekte selbst. Gemäß der S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen 31878 liegt Evidenz zum Nutzen von Peer Support vorwiegend für gemischte Population vor. Sie deutet darauf hin, dass Peer Support weniger klinische Outcomes, sondern eher Parameter wie Hoffnung, Empowerment, Selbstwirksamkeit, Autonomie und Lebensqualität verbessern hilft, was die Quantifizierung der Effekte erschwert. Die Evidenzqualität ist aufgrund des hohen Bias-Risikos, der sehr hohen Heterogenität auf PICO-Ebene, der kleinen Studienpopulationen und der inkonsistenten Ergebnisse jedoch sehr niedrig.
Ein Schadenspotenzial liegt aus Sicht der Leitliniengruppe in den subjektiven, nicht evidenzbasierten und möglicherweise auch widersprüchlichen Empfehlungen durch andere Betroffene. Hinzu kommen gruppendynamische Effekte, die negative Einflüsse auf emotional instabile Patient*innen haben können.
Erkrankungsspezifische Selbsthilfe, Peer-gestützte Beratungsstellen und vor allem Genesungsbegleiter*innen sind in Deutschland nicht flächendeckend verfügbar.
9.4 Lichttherapie
Definition
Die Lichttherapie zielt darauf, den zirkadianen Rhythmus und damit den Serotonin- und Melatonin-Spiegel zu beeinflussen. Dabei werden verschiedene Methoden eingesetzt. Die am häufigsten genutzte Lichtart ist helles fluoreszierendem Licht hoher Lichtstärke (min. 2 500 Lux, besser 10 000 Lux und mehr), aber auch andere Spektren mit kurzen oder mittleren Wellenlängen (blau, grün, gelb) kommen prinzipiell infrage. Als Lichtquelle werden vor allem Lichttherapielampen ("Lichtdusche", Tageslichtlampen) eingesetzt; es gibt aber auch Lichtmasken und Lichtbrillen ("Wearables") sowie andere Geräte.
Dauer und Frequenz der Behandlung unterscheiden sich in Abhängigkeit von Lichtquelle, Lichtart und Lichtintensität. Häufig sind mehrtägige bis mehrmonatige Anwendungen für 30 Minuten bis 2 Stunden in den frühen Morgenstunden. Die Augen müssen während der Therapie geöffnet sein und dürfen nicht mit einer Sonnenbrille oder anderem verdeckt werden. Daher besitzen Lichttherapiegeräte einen UV-Filter, um die Augen nicht zu schädigen.
Die Leitliniengruppe schätzt die Aussagesicherheit der Evidenz für Lichttherapie bei Depressionen mit saisonalem Muster als moderat, für nicht-saisonale Depressionen als sehr niedrig ein. Die Limitationen ergeben sich aus dem Verzerrungsrisiko (mangelnde Verblindung), Impräzision (kleine Fallzahl, breite Konfidenzintervalle), Inkonsistenz (Heterogenität auf PICO- und Ergebnisebene), Indirektheit (teils nicht nur Patient*innen mit diagnostizierter Depression eingeschlossen) sowie Hinweisen auf Publikationsbias.
Insgesamt ergaben sich kurzzeitige Effekte auf die Remissionsraten und die Symptomatik, mit kleiner bis mittlerer Effektstärke; dabei liegt die beste Evidenz für Lichtlampen vor. Durch Lichttherapie können additive Effekte zu einer Behandlung mit Antidepressiva erzielt werden, und auch ältere Menschen können von Lichttherapie profitieren. Da das Schadenspotenzial gering und Lichttherapie sehr einfach umzusetzen ist, beispielsweise durch kostengünstige Lichttherapie-Lampen am Arbeitsplatz, spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung für saisonale Depressionen und aufgrund der niedrigeren Evidenzqualität eine offene Empfehlung für nicht-saisonale Depressionen aus. In der Regel erfolgt Lichttherapie zusätzlich und unterstützend zu anderen Interventionen; bei leichten und rein saisonalen Formen ist aus Sicht der Leitliniengruppe auch ein erster Behandlungsversuch als Einzelintervention denkbar.
Evidenzbasis
Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.
Evidenzbeschreibung
Für saisonale Depressionen wurden 3 systematische Übersichtarbeiten eingeschlossen. Im Review von Pjrek 2020 ergaben sich gegenüber Sham kleine Effekte bezüglich der depressiven Symptomatik (SMD -0,37 (95% KI -0,63; '-0,12); I2 = 52,3%; N = 18, n = 610; niedrige Evidenzqualität) und der Ansprechrate (RR 1,42 (95% KI 1,08; 1,85); I2 = 44,3%; ARR 20,6%; N = 16, n = 559; niedrige Evidenzqualität). In der Sensitivitätsanalyse von Studien mit niedrigem oder moderatem Biasrisiko vergrößerten sich die Effekte (SMD -0,70 (95% KI -1,14; -0,26); I2 = 67,5%; Ansprechrate RR 2,30 (95% KI 1,35; 3,90); I2 = 37,5%; N = 8; moderate Evidenzqualität) 30898. Ein qualitativ hochwertiger HTA des IQWiG 2020 errechnete statistisch nicht signifikant verbesserte Remissionsraten für Lichttherapie vs. Placebo (RR 1,32 (95% KI 0,88; 2,00)); in der Analyse von Interventionen mit Lichtlampen war der Effekt signifikant (46% vs. 25%, RR 1,48 (95% KI 1,05; 2,09); N = 7, n = 275), nicht aber für Stirnlampen. Ähnliche Ergebnisse ergaben sich bezüglich der depressiven Symptomatik und der Ansprechrate; die Effektgröße für Lichtlampen war klein (SMD: -0,33 (95% KI -0,58; -0,09); N = 7, n = 268). Die Aussagesicherheit der Ergebnisse (Evidenzqualität) wurde als moderat eingestuft 30138. Eine weitere Übersichtsarbeit untersuchte die Effektivität von Lichttherapie bei aktuell symptomfreien Patient*innen. Es konnte nur eine sehr kleine Studie zu dieser Fragestellung identifiziert werden, in der keine signifikanten Effekte erzielt wurden; die Evidenzqualität wird als sehr niedrig eingeschätzt 29436.
Drei Übersichtsarbeiten untersuchten die Effektivität von Lichttherapie bei nicht-saisonaler Depression. Im Review von Tao wurden 23 RCT eingeschlossen und es ergab sich ein kleiner bis moderater Effekt auf die depressive Symptomatik (SMD -0,405 (95% KI -0,597; -0,212); I2 = 56,9%; N = 23; sehr niedrige Evidenzqualität), der in der Subanalyse für weißes Licht signifikant blieb, nicht aber für andere Lichtarten 30899. Zwei weitere Reviews fokussierten auf Lichttherapie bei älteren Patient*innen. Die Ergebnisse waren konsistent zu denen in der Gesamtpopulation 30894, 30895.
Eine weitere Übersichtsarbeit verglich Lichttherapie mit einer medikamentösen Therapie und schloss Patient*innen mit saisonalen und nicht-saisonalen sowie mit unipolaren und bipolaren Störungen ein. Im verblindeten Vergleich Lichttherapie plus Medikamentenplacebo versus Antidepressivum plus Sham-Lichttherapie ergaben sich keine signifikanten Unterschiede bezüglich der depressiven Symptomatik (SMD 0,19 (95% KI -0,08; 0,45); I2 = 0%; N = 7; sehr niedrige Evidenzqualität). Eine Add-on-Lichttherapie erzielte moderate zusätzliche Effekte gegenüber einer alleinigen medikamentösen Behandlung (SMD 0,56 (95% KI 0,24; 0,88); I2 = 18,41%; N = 5; sehr niedrige Evidenzqualität) 30896.
Sicherheitsaspekte waren in den Primärstudien schlecht berichtet. Im Wesentlichen können Augen- und Kopfschmerzen auftreten, die aber kurzzeitig und mild sind 30893.
Der überwiegende Teil der systematischen Übersichtsarbeiten wies methodische Schwächen auf (siehe Evidenztabellen im Leitlinienreport 32140).
Triple Chronotherapie
Auch eine Kombination mehrerer chronobiologisch orientierter Maßnahmen ist möglich, d. h. Schlafentzug, Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus und Lichttherapie. In der systematischen Recherche konnte jedoch keine aggregierte Evidenz für "Triple Chronotherapie" speziell für Patient*innen mit unipolaren Depressionen identifiziert werden.
9.5 Wachtherapie
Aus klinischer Sicht kann das Erleben milder positiver oder hypomaner Stimmungszustände nach Schlafentzug hilfreich sein, um depressive Episoden zu durchbrechen und andere Stimmungszustände erlebbar zu machen. Wachtherapie ist das einzige nicht-medikamentöse Verfahren mit Sofortwirkung und zudem jederzeit und kostenfrei verfügbar. Zudem kann der Erfolg des Wachbleibens die Selbstwirksamkeitserwartung der Patient*innen stärken. Da die Evidenz für Wachtherapie jedoch schwach ist und die Effekte sehr kurzfristig sind, spricht die Leitliniengruppe eine abgeschwächte Empfehlung aus. Eine Indikationsstellung erscheint eher bei einem höheren Schweregrad der Depression sinnvoll und vor allem bei Patient*innen mit chronobiologisch akzentuierten Beschwerden. Wachtherapie erfolgt grundsätzlich zusätzlich unterstützend zu anderen Interventionen.
Evidenzbasis
Die Empfehlung beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurde um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden.
Evidenzbeschreibung
Die 2. Auflage zitierte zwei ältere systematische Übersichtsarbeiten, in denen sich durch Schlafentzug bei ca. 60% der Patient*innen die depressive Symptomatik vorübergehend besserte 10370, 10371. Besonders profitierten Patient*innen mit chronobiologischer Charakteristik, d. h. mit Schwankungen der Stimmung innerhalb eines Tages oder von Tag zu Tag. Der antidepressive Effekt des Schlafentzugs war jedoch nicht anhaltend und bei den meisten Patient*innen kam es bereits nach einer Nacht des Schlafens (Erholungsnacht) zu einem Rückfall.
Ein selektiv eingebrachter aktueller systematischer Review mit 6 RCTs fand nach einer Woche kleine, aber nicht signifikante Effekte einer Schlafentzugstherapie auf die depressive Symptomatik im Vergleich zu einer Standardbehandlung (SMD −0,29 (95% KI −0,84; 0,25); I2 = 70%; N = 6, n = 215; niedrige Evidenzqualität). Der Effekt verlor sich nach 2 Wochen. In einer Analyse der Studien mit ausschließlich unipolaren Patient*innen war die Differenz weder klinisch relevant, noch statistisch signifikant (SMD −0,10 (95% KI −1,16; 0,96); I2 = 81%; N = 3; niedrige Evidenzqualität). Eine Post-hoc-Analyse unter Ausschluss einer Studie mit älteren Patient*innen ergab eine mittlere Effektstärke, die aber ebenfalls keine statistische Signifikanz erreichte (SMD −0,59 (95% KI −1,44; 0,25); I2 = 40%; niedrige Evidenzqualität). Als unerwünschte Wirkung wurde vor allem Manie (Spanne 2,7% bis 10,7%) beobachtet 31249.
Versorgungspraktische und klinische Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Aus Sicht der Leitliniengruppe wird Wachtherapie in der Versorgungspraxis zu selten versucht. Wichtig ist es, die Patient*innen zu motivieren und von der Sinnhaftigkeit der Wachtherapie zu überzeugen, falls die Settingbedingungen dazu günstig sind. Da die Gefahr besteht, manische Zustände auszulösen, müssen zuvor bipolare Störungen sicher ausgeschlossen werden. Eine weitere Kontraindikation stellt Epilepsie dar.
Umsetzbarkeit und Risiken sind aus Sicht der Leitliniengruppe stark vom Setting abhängig: Während bei allein Lebenden oder Alleinerziehenden die Durchführung zu Hause schwierig ist, fällt es mit Unterstützung durch einen Angehörigen oder in der Gruppe im stationären Kontext leichter. Hinzu kommt, dass die Risiken einer durch Schlafentzug ausgelösten Manie bis hin zum Suizid bei ambulanten Selbstversuchen höher sind als bei professionell begleiteter Wachtherapie in Kliniken. Dort kann auch besser auf schnelle Rückfälle oder Rebound-Phänomene reagiert werden.
Schlafphasenverschiebung und Triple Chronotherapie
In den Studien wurde zumeist der Effekt einer einzelnen durchwachten Nacht untersucht. Oft kommt es aber schon nach der nächsten Schlafphase zu einem Rückfall. Längerfristige Effekte sind möglicherweise mit einer Woche Schlafphasenverschiebung möglich, die sich bei Ansprechen auf die erste Nacht Schlafentzug anschließt. Dies setzt ein stationäres Setting voraus. Aggregierte Evidenz für diese spezielle Form der Schlafentzugstherapie wurde nicht identifiziert.
Auch eine Kombination mehrerer chronobiologisch orientierter Maßnahmen ist möglich, d. h. Schlafentzug, Verschiebung des Schlaf-Wach-Rhythmus und Lichttherapie. In der systematischen Recherche zu Lichttherapie konnte jedoch keine aggregierte Evidenz für "Triple Chronotherapie" speziell für Patient*innen mit unipolaren Depressionen identifiziert werden.
9.6 Bewegungs- und Sporttherapien
Bewegungs- und Sporttherapien bei psychischen Störungen umfassen eine große Bandbreite von Verfahren. Sie reichen von sporttherapeutischen Interventionen wie Ausdauertraining (z. B. Jogging, Walking), Kraft- bzw. Muskeltraining, Gymnastik oder Sportspielen (z. B. Tennis, Fußball) über Entspannungstechniken (Progressive Relaxation, Autogenes Training) bis hin zu körperpsychotherapeutischen Verfahren.
Die konsensbasierte Empfehlung für sportliche Aktivitäten zielt allgemein auf eine Aktivierung der Patient*innen. Die Gesundheitsförderung und vor allem die soziale Komponente sind aus Sicht der Leitliniengruppe ggf. wichtiger als Struktur und Supervision von Trainingsmaßnahmen, die zudem nicht flächendeckend verfügbar sind. Hinzu kommt, dass die Motivation und längerfristige Adhärenz zu einer nach individueller Präferenz gewählten körperlichen Betätigung vermutlich höher ist als zu therapeutisch vorgegebenen Trainingsmaßnahmen.
Bezüglich supervidierter Bewegungs- und Sportprogramme schätzt die Leitliniengruppe die Aussagekraft der Evidenz als niedrig bis moderat ein. Limitationen ergeben sich aus dem Verzerrungsrisiko (mangelnde Verblindung, Abbruchraten, Adhärenz bezüglich Intensität und Dauer), der hohen Heterogenität der Studien und der häufig kleinen Samples. Dennoch ist von einem kleinen bis moderaten, wenn auch eher kurzfristigen Effekt auszugehen, sowohl als alleinige Behandlungsoption bei leichterer Symptomatik als auch als zusätzliche Intervention bei gleichzeitiger medikamentöser Behandlung oder Psychotherapie. Daher spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung aus und regt an, ausreichend entsprechende Angebote zu schaffen. Detaillierte Aussagen zur optimalen Art, Dauer und Intensität der Programme sind aus Sicht der Leitliniengruppe nicht möglich. Die beste Evidenz liegt für aerobe Ausdauertrainings, Krafttrainings oder eine Kombination beider Trainings vor; für andere Formen körperlichen Training wird die Evidenz als inkonklusiv eingeschätzt.
Entscheidend ist aus Erfahrung der Leitliniengruppe, die Patient*innen von der Sinnhaftigkeit von körperlicher Aktivität zu überzeugen. Dabei gibt es soziokulturell wie sozioökonomisch starke Unterschiede in der Motivierbarkeit, was nicht zuletzt auch einem Mangel an kultursensiblen Angeboten geschuldet ist.
Evidenzbasis
Die konsensbasierte Empfehlung zu Bewegungsinterventionen beruht auf klinischen Aspekten und einer Extrapolation der Evidenz zu strukturierten Bewegungsprogrammen. Die Empfehlung zu strukturierten und supervidierten Trainingsmaßnahmen beruht auf der systematischen Recherche zur 2. Auflage und wurde um systematische Übersichtsarbeiten ergänzt, die in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifiziert bzw. selektiv eingebracht wurden.
Evidenzbeschreibung
Ein in der 2. Auflage zitierter Cochrane-Reviews zu körperlichem Training (Gehen, Laufen/Laufband, Fahrradfahren/Ergometer, Tanzen, Rudern, Krafttraining) bei Depressionen fand in der Metaanalyse (N = 35, n = 1 353) eine moderate Effektstärke (SMD -0,62 (95% KI -0,81; -0,42); I² = 63%; Evidenzqualität moderat) im Vergleich zu keiner Intervention oder Placebo. Die Analyse von Studien, bei denen ausschließlich eine klinische Diagnose der Depression erfolgte (N = 23; n = 967), kam zu ähnlichen Ergebnissen (SMD -0,57 (95% KI -0,81; -0,32); I² = 49%). In Studien mit Langzeitdaten (N = 8; n = 377) waren die Effekte geringer (SMD -0,33 (95% KI -0,63; -0,03); I² = 67% (Evidenzqualität niedrig). Bei der Sensitivitätsanalyse von Studien mit hoher Qualität (N = 6, n = 464) war der Effekt nicht mehr statistisch signifikant und blieb unterhalb der Schwelle klinischer Relevanz (SMD -0,18 (95% KI -0,47; 0,11); I² = 57%). Limitationen der Evidenz ergeben sich aus dem teils hohen Verzerrungsrisiko (mangelnde Verblindung, hohe Abbruchraten) und der Heterogenität der Studien. Subgruppenanalysen ergaben für aerobes Ausdauertraining moderate Effekte (SMD -0,55 (95% KI -0,77, -0,34); N = 28, n = 1 080); für Krafttraining (SMD -1,03 (95% KI -1,52, -0,53); N = 4, n = 144) und gemischte Interventionen (SMD -0,85 (95% KI -1,85; 0,15); N = 3, n = 128) waren die Effekte stark, die Aussagekraft ist aufgrund der kleinen Samples und der breiten Konfidenzintervalle jedoch limitiert. Die Ergebnisse von Analysen zur Trainingsintensität waren heterogen mit einer Tendenz stärkerer Wirkeffekte für höhere Intensitäten. Ähnlich waren längere Interventionsdauern tendenziell mit höherer Effektstärke assoziiert 31250.
Untersuchungen speziell bei älteren Personen bestätigen eine Effektivität von körperlichem Training auf depressive Symptome, wobei es Hinweise gibt, dass Effekte aeroben Ausdauertrainings in dieser Population länger anhalten als Krafttraining 31251, 31252. Keine ausreichende Datenbasis liegt für die Effektivität von körperlichem Training für die Untergruppe von depressiven Menschen mit Demenz vor 31253.
Für Walking ab 20 Minuten Dauer wurde in einer weiteren in der 2. Auflage zitierten Metanalyse ein starker Effekt festgestellt (SMD -0,86 (95% KI -1,12; -0,61); Ι² = 86%; N = 8, n = 341). Die untersuchten Interventionen und die eingeschlossenen Personengruppen waren jedoch sehr heterogen, so dass eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse fraglich bleibt 31254.
Eine in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierte Netzwerkmetaanalyse errechnete durch ein alleiniges Sportprogramm (inkl. Yoga) bei weniger schweren Depressionen gegenüber Medikamentenplacebo einen kleinen Effekt auf die Symptomatik, der jedoch keine statistische Signifikanz erreichte (SMD -0,27 (95% CrI -0,84; 0,29); N = 794). Bei schwererer Symptomatik war ein alleiniges körperliches Trainingsprogramm Medikamenten-Placebo numerisch unterlegen (Evidenzqualität sehr niedrig). Die Kombination aus einer medikamentösen oder Psychotherapie mit einem Sportprogramm erzielten in der Netzwerkanalyse starke Effekte: bei leichterer Symptomatik im Vergleich zu Medikamentenplacebo (SMD -1,06 (95% CrI -1,98; -0,12); n = 79) und im Vergleich zur Standardbehandlung (SMD -1,48 (95% CrI -2,58; -0,40); n = 79) wie auch bei schwererer Symptomatik vs. Medikamentenplacebo (SMD -1,77 (95% CrI -2,80; -0,74); n = 41) und im Vergleich zur Standardbehandlung (SMD -2,41 (95% CrI -3,66; -1,17); n = 41). Die Effektgrößen reduzierten sich bei Adjustierung für small study bias nur sehr geringfügig. Als Augmentationsstrategie bei Nichtansprechen einer medikamentösen Therapie reduzierte ein Sportprogramm die depressive Symptomatik in einer Metanalyse mit moderater Effektstärke (SMD -0,51 (95% KI -0,83; -0,2); N = 4, n = 181). Allerdings ist die Aussagekraft (Evidenzqualität) vor allem aufgrund der sehr kleinen Samples für alle Vergleiche sehr niedrig 29705.
Zur Frage, welche Effekte verschiedene Arten von Sportprogrammen haben, wurden zusätzlich aktuellere selektiv eingebrachte Arbeiten herangezogen: Ein Meta-Review, Grundlage einer Leitlinie zu physischer Aktivität, identifizierte 10 systematische Reviews unterschiedlicher methodischer Qualität zu körperlichem Training bei unipolaren Depressionen, eingeschlossen den oben dargestellten Cochrane-Review 31250. In der Zusammenschau ergab sich konsistente und belastbare Evidenz für positive Effekte eines Ausdauertrainings bezüglich der depressiven Symptomatik, außerdem limitierte Evidenz für eine Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness und der Lebensqualität 31255. Ein weiterer qualitativ hochwertiger Meta-Review beurteilte die Evidenz speziell für Qi Gong, Tai Chi und Yoga aufgrund methodischer Limitationen als nicht belastbar 30879.
Patientenmaterialien
- Patientenblatt "Depression – Was bringen mir Sport und Bewegung?" (siehe Patientenblätter)
9.7 Psychiatrische Häusliche Krankenpflege
Die konsensbasierte Empfehlung zielt auf eine stärkere Berücksichtigung der psychiatrischen häuslichen Krankenpflege (pHKP), da sie aus Sicht der Leitliniengruppe hilfreich sein kann, auch Patient*innen mit schweren psychischen Störungen ein selbstständiges Leben im häuslichen Umfeld zu ermöglichen. Zudem dient diese Option auch der Unterstützung der Angehörigen. Nicht zuletzt kann die pHKP dazu beitragen, dass Plätze in stationären Einrichtungen für diejenigen Patient*innen vorgehalten werden können, bei denen eine ambulante Behandlung nicht möglich ist.
Evidenzbasis
Die konsensbasierte Empfehlung basiert auf versorgungspraktischen Überlegungen und Teilhabeaspekten. Auf eine systematische Recherche wurde verzichtet, da sich internationale Modelle wie Home Treatment nicht auf pHKP übertragen lassen, da sie nicht nur eine rein pflegerische, sondern auch ärztlich-therapeutische Komponenten enthalten.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Psychiatrische Häusliche Krankenpflege (pHKP) ist ein gemeindeorientiertes Versorgungsangebot. Sie soll dazu beitragen, dass Menschen mit psychischen Störungen ein würdiges, eigenständiges Leben in ihrem gewohnten Lebenszusammenhang führen können. Durch die Pflege vor Ort soll das Umfeld beteiligt und die soziale Integration gewährleistet werden. Im Kontext des "Home Treatment"-Konzeptes, das Behandlung auch von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen im häuslichen Milieu ermöglicht, ist die pHKP ein wesentlicher Bestandteil.
pHKP soll dazu beitragen, Klinikaufenthalte, die von den Betroffenen und dem sozialen Umfeld häufig als stigmatisierend empfunden werden, zu vermeiden oder zu verkürzen. Außerdem soll mit den flexiblen, aufsuchenden Angeboten die Akzeptanz und Inanspruchnahme ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungen verbessert und Behandlungsabbrüchen vorgebeugt werden. pHKP dient der Stärkung des Selbsthilfepotenzials und der Kompetenzerweiterung der Patient*innen im Umgang mit ihrer Erkrankung. Außerdem soll pHKP die Patient*innen darin unterstützen, Krisen rechtzeitig zu erkennen und zu bewältigen sowie krankheitsbedingte Beeinträchtigungen von Aktivität und Teilhabe zu kompensieren.
Bei der Indikationsstellung gilt es auch die Situation und Präferenzen der Angehörigen zu berücksichtigen, da sie häufig eine alleinige Betreuung der Betroffenen nicht leisten können oder möchten.
Da die entsprechenden Richtlinien keine Umsetzungsbestimmungen enthalten und diese von jedem potenziellen Leistungserbringer einzeln ausgehandelt werden müssen, besteht bis heute keine flächendeckende Versorgung mit pHKP in Deutschland. Ein weiterer Grund dafür sind die hohen Anforderungen der Krankenkassen an die Leistungserbringer, die den Aufbau psychiatrischer Pflegedienste erschweren.
Weiterführende Informationen: Verordnung von Psychiatrischer Häuslicher Krankenpflege
Psychiatrische Häusliche Krankenpflege (pHKP) ist als ambulante Versorgungsleistung in den Richtlinien zur Verordnung von Häuslicher Krankenpflege geregelt. Bei unipolaren Depressionen ist eine Verordnung bei schweren akuten bzw. rezidivierenden Episoden möglich und/oder wenn Funktionsstörungen und Beeinträchtigungen von Aktivität/Teilhabe in einem Maß vorliegen, dass das Leben im Alltag nicht mehr selbständig bewältigt oder koordiniert werden kann. Das Ausmaß der Funktionsstörungen wird mittels GAF-Skala ("Global Assessment of Functioning Scale") erhoben; eine Verordnung kann ab einem GAF-Wert ≤ 50 erfolgen.
Die Verordnung von pHKP für einen Zeitraum von bis zu vier Monaten bedarf grundsätzlich keiner weiteren Begründung; in Ausnahmefällen kann auch eine längere pHKP bewilligt werden. Die Verordnung darf durch Fachärzt*innen für Nervenheilkunde, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Fachärz*tinnen in psychiatrischen Institutsambulanzen nach § 118 SGB V, durch Vertragspsychotherapeut*innen sowie durch Hausärzt*innen sowie Fachärzt*innen mit der Zusatzbezeichnung Psychotherapie erfolgen.
Hinweis: Weiterführende Materialien zur Verordnung
- Detaillierte Hinweise zur Verordnung von pHKP in der Praxis bietet die KBV (www.kbv.de/html/40607.php; PDF: www.kbv.de/media/sp/PraxisWissen_Haeusliche_Krankenpflege.pdf).
- Eine weitere Broschüre der KBV fasst Informationen zur Verordung von Ergo- und Soziotherapie, psychiatrischer häuslicher Krankenpflege und medizinischer Rehabilitation speziell für Psychotherapie-Praxen zusammen (www.kbv.de/media/sp/PraxisWissen_Psychotherapeuten.pdf).
- Auch eine Praxis-Info der Bundespsychotherapeutenkammer bietet Unterstützung (www.bptk.de/publikationen/psychotherapeuten/ PDF: www.bptk.de/wp-content/uploads/2020/12/bptk_praxisInfo_haeusliche-krankenpflege_web.pdf).
- Für ausführliche Informationen zu Arbeitsfeldern und sozialrechtlichen Hintergründen der pHKP siehe S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878.
9.8 Arbeitsunfähigkeit
Empfehlung |
Empfehlungsgrad |
---|---|
9-10 | neu 2022 Vor der Entscheidung über das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund depressiver Störungen sollen mögliche Vor- und Nachteile mit den Patient*innen erörtert werden. |
|
9-11 | neu 2022 Bei Ausstellen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund depressiver Störungen sollen den Patient*innen immer auch angemessene therapeutische Interventionen angeboten werden. |
|
9-12 | neu 2022 Die wiederholte Verlängerung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung soll mit dem Angebot einer intensivierten Behandlung (siehe Kapitel 7 Maßnahmen bei Nichtansprechen und Therapieresistenz und Kapitel 13 Medizinische Rehabilitation und Leistungen zur Teilhabe) verbunden sein. |
Die konsensbasierten Empfehlungen zielen auf das von der Leitliniengruppe wahrgenommene Versorgungsproblem einer teilweise zu frühen und zu reflexhaften Krankschreibung bei depressiven Störungen im hausärztlichen Bereich. In der Praxis sind Symptomatik und Beeinträchtigungen der Patient*innen häufig nicht so stark ausgeprägt, dass eine eindeutige Arbeitsunfähigkeit (AU) vorliegt. In diesen Fällen muss eine individuelle Entscheidung getroffen werden, die psychosoziale und arbeitsplatzbezogene Faktoren einbezieht. Das Ausstellen einer AU-bescheinigung kann zwar ein sinnvolles Angebot zur Entlastung darstellen, kann aber auch – insbesondere bei längerfristigen Krankschreibungen – zur Verschlimmerung und Chronifizierung depressiver Störungen beitragen. Daher empfiehlt die Leitliniengruppe, den Patient*innen zumindest niedrigintensive Interventionen wie z. B. Psychoedukation, Bibliotherapie, aktivierende Begleitung sowie unterstützende Maßnahmen wie Sport anzubieten. Eine wiederholte AU ohne Versuch, den Behandlungserfolg zu verbessern, erscheint unethisch. Außerdem wird die Rückkehr zur Arbeit mit zunehmender Dauer der AU immer unwahrscheinlicher.
Die Empfehlungen beziehen sich ausdrücklich nicht auf Patient*innen, die wegen einer ausgeprägten Symptomatik bzw. der Schwere der Beeinträchtigungen gemäß ICF klar arbeitsunfähig sind. Bei ihnen erfolgt die Krankschreibung weitgehend unabhängig von psychosozialen oder arbeitsplatzbezogenen Faktoren.
Evidenzbasis
Die konsensbasierten Empfehlungen basieren auf klinischen Erwägungen sowie Kenntnissen zu Risikofaktoren für Verschlimmerung und Chronifizierung depressiver Störungen, unterstützt durch selektiv eingebrachte Literatur.
Evidenzbeschreibung
In der systematischen Recherche zu niedrigschwelligen Interventionen wurde keine Evidenz für Krankschreibungen im Sinne eines "watchful waiting" identifiziert.
In einer selektiv eingebrachten prospektiven Studie aus dem deutschen Versorgungskontext zeigte sich bezüglich der depressiven Symptomatik nach 8 Wochen kein Unterschied zwischen AU und Nicht-AU; bezüglich der Remissionsraten ergab sich ein numerischer Vorteil für die Nicht-AU. Prädiktive Faktoren, die für oder gegen eine AU sprechen, konnten nicht identifiziert werden 31930, auch nicht in ebenfalls selektiv eingebrachten qualitativen Studien zum Umgang von Hausärzt*innen mit Krankschreibungen 31929, 31928.
Klinische Erwägungen
Besonders in der hausärztlichen Praxis sind Symptomatik und Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit depressiven Störungen häufig nicht so stark ausgeprägt, dass eine eindeutige Arbeitsunfähigkeit vorliegt. In manchen Fällen kann eine kurze "Auszeit" durchaus sinnvoll sein, allerdings triggert die Abwesenheit vom Arbeitsplatz auch Risikofaktoren, die mit einer Verschlimmerung und Chronifizierung depressiver Störungen verbunden sind, z. B. mangelnde Struktur des Alltags, Deaktivierung und Verlust von sozialen Kontakten, fehlende Ablenkung und Fehlen positiver Bestätigung durch Arbeit. In Tabelle 39 sind konsensbasiert exemplarisch Kriterien aufgeführt, die im Zweifelsfall für bzw. gegen eine Krankschreibung von Patient*innen mit depressiver Symptomatik sprechen könnten. Die Vor- und Nachteile müssen für jeden Fall sorgfältig individuell abgewogen werden, was eine psychosoziale und berufliche Anamnese (Status, arbeitsplatzbezogene Kontextfaktoren) voraussetzt.
Die Leitliniengruppe betont, dass eine Krankschreibung nie als "Monotherapie", sondern immer eingebettet in ein therapeutisches Konzept erfolgen und somit mindestens niedrigintensive Interventionen wie supportive Gespräche oder aktivierende Begleitung umfassen soll (siehe Kapitel 5.1.1 Niedrigintensive Interventionen). Deutet sich an, dass die AU länger als 6 Wochen andauert, empfiehlt die Leitliniengruppe eine Abstimmung zwischen Hausärzt*innen und Psychiater*innen bzw. Psychotherapeut*innen (siehe Kapitel 14.2 Ambulante Versorgungskoordination und Überweisungsindikationen mit Tabelle 44) sowie eine rechtzeitige Beratung und ggf. Einleitungen von Maßnahmen zum beruflichen Wiedereinstieg (z. B. als stufenweise Wiedereingliederung; siehe Kapitel 13.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung).
Eine wiederholte AU deutet zwar indirekt darauf hin, dass die Behandlung nicht effektiv ist; dennoch gibt es aus der Erfahrung der Leitliniengruppe in der Versorgungsrealität immer wieder Patient*innen, die sogar mehrere Jahre unter nicht wirksamer Initialbehandlung oder ganz ohne Behandlung bleiben und immer wieder eine AU erhalten. Diese Praxis steht im Widersprich zu den Empfehlungen zur Wirkungsprüfung (siehe Kapitel 2.8 Verlaufsdiagnostik, Monitoring, 4.3.3 Monitoring bei Anwendung Internet- und mobilbasierter Interventionen, 4.4.7 Monitoring bei Behandlung mit Antidepressiva und 4.5.7 Monitoring bei psychotherapeutischer Behandlung). Außerdem wird eine Rückkehr zur Arbeit mit zunehmender Dauer der AU immer unwahrscheinlicher (siehe Kapitel 13.3 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung). Dabei sind Eingliederungshilfen sozialrechtlich bereits nach 6 Monaten AU zugänglich.
Die Leitliniengruppe befürwortet die Einführung der Möglichkeit einer Teil-AU analog zum Hamburger Modell, da dies aus ihrer Sicht ein sinnvolles Instrument zur stufenweisen Wiedereingliederung nach einer Vollzeit-AU darstellen würde.
Tabelle 39: Exemplarische Kriterien für oder gegen Krankschreibungen bei unipolaren Depressionen
Tabelle 39: Exemplarische Kriterien für oder gegen Krankschreibungen bei unipolaren Depressionen
|
abzuwägende Faktoren |
---|---|
depressive Symptomatik* |
|
psychosoziale Faktoren |
|
arbeitsplatzbezogene Faktoren |
|
*Bei eindeutig arbeitsunfähigen Patient*innen mit ausgeprägter Symptomatik bzw. schwerer funktioneller Beeinträchtigung erfolgt die Feststellung der AU weitgehend unabhängig von psychosozialen oder arbeitsplatzbezogenen Faktoren. |
Patientenmaterialien
- Patientenblatt "Depression – Ist eine Krankschreibung für mich sinnvoll?" (siehe Patientenblätter)
9.9 Künstlerische Therapien
Die Leitliniengruppe verzichtet auf die Formulierung einer Empfehlung. Ausführliche Informationen zu Künstlerischen Therapien bietet die S3-Leitlinie "Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen" 31878.
Definition
Die Fachbereiche der Künstlerischen Therapien umfassen Kunst-, Musik-, Tanz-, Theatertherapie und andere. Allen Disziplinen gemeinsam ist der Einsatz künstlerischer Medien in Diagnostik und Therapie. Diese Herangehensweise eröffnet Zugangsmöglichkeiten zu Gefühlen und Konflikten der Patient*innen und auch Patient*innen mit starken sprachlichen Einschränkungen können erreicht werden. Einige Fachrichtungen setzen auch rezeptive, eindrucksbezogene Interventionen wie das Zuhören, Betrachten und Zuschauen ein. Innerhalb der therapeutischen Beziehung sollen die Patient*innen im Umgang mit künstlerischen Techniken lernen, ihre Probleme und ihre Potentiale wahrzunehmen, eingefahrene Denk-, Gefühls- und Verhaltensstrukturen zu durchbrechen und durch neue Lösungen zu ersetzen. Künstlerische Therapien zielen auf soziale und kognitive Kompetenzen wie auch auf sensomotorische Fähigkeiten.
Evidenzbeschreibung
In der themenübergreifenden systematischen Recherche wurde ein Cochrane-Review zu Musiktherapie bei depressiven Störungen identifiziert. In kontrollierten Studien (RCT und Nicht-RCT) ergaben sich nach bis zu 3 Monaten große Effekte zugunsten der Musiktherapie gegenüber TAU für fremdbewertete depressive Symptome (SMD -0,98 (95% KI -1,69; -0,27); I2 = 83%; N = 4, n = 219; moderate Evidenzqualität) als auch für von den Patient*innen selbst bewertete depressive Symptome (SMD -0,85 (95% KI -1,37; -0,34); I2 = 49%; N = 4, n = 142; moderate Evidenzqualität) 29463. Ein weiterer Cochrane-Review untersuchte Tanztherapie bei depressiven Störungen und fand im Vergleich zu TAU oder Warteliste keine signifikanten Effekte auf die depressive Symptomatik (SMD ‐0,67 (95% KI ‐1,40; 0,05); I2 = 76%; N = 3, n = 147; sehr niedrige Evidenzqualität). Eine Subgruppenanalyse der beiden Studien mit erwachsenen Teilnehmer*innen ergab einen großen Effekt (SMD ‐7,33 (95% KI ‐9,92; ‐4,73); I2 = 0%; N = 2, n = 107; sehr niedrige Evidenzqualität) 29442.
Insgesamt hat sich die Evidenzlage zu Künstlerischen Therapien im Vergleich zur 2. Auflage der NVL zwar verbessert, doch ist die Aussagekraft der Evidenz aufgrund des hohen oder unklaren Biasrisikos, der kleinen Samples und der hohen Heterogenität sehr eingeschränkt.
Versorgungspraktische Erwägungen
Eine eindeutige Indikation für Künstlerische Therapien existiert nicht. Aus klinischer Sicht eignen sie sich vor allem für Patient*innen mit wenig Zugang zu bzw. Schwierigkeiten im Umgang mit Emotionen; zudem werden sie häufig bei depressiven Patient*innen mit somatischer und psychischer Komorbidität eingesetzt.
Künstlerische Interventionen sind in Deutschland im (teil-)stationären Bereich von Akut- und Reha-Kliniken häufig integriert und können von den Patient*innen nach eigener Präferenz gewählt oder abgelehnt werden. Sie werden darüber hinaus auch im Rahmen der sozialen Teilhabe angeboten (z. B. in Tagesstätten). Aus dem ambulanten Bereich heraus sind Künstlerische Interventionen jedoch als SGB V-Leistung nicht zugänglich, da es sich nicht um anerkannte Heilverfahren/-mittel handelt. Prinzipiell ist zukünftig aber auch eine in den psychiatrisch-psychotherapeutischen Gesamtbehandlungsplan integrierte Anwendung Künstlerischer Therapien im ambulanten Setting denkbar. Eine derzeit ambulant nutzbare Form bieten "Offene Ateliers", wobei die Finanzierung dieser Angebote sehr heterogen ist.
9.10 Komplementär- und alternativmedizinische Interventionen
Es existiert eine Vielzahl von komplementär- und alternativmedizinischen Interventionen (CAM), die bei Depressionen bzw. depressiver Symptomatik eingesetzt werden. Dazu zählen ernährungsbasierte Ansätze sowie somatische bzw. mentale Ansätze. Mit Ausnahme von Johannniskraut (siehe Kapitel 5.1.3.2 Johanniskraut) und einzelnen den CAM zugeordneten achtsamkeitsbasierten Interventionen (siehe Kapitel 5.1.1 Niedrigintensive Interventionen) ist die Evidenzlage zur Effektivität von CAM bei Patient*innen mit manifesten unipolaren Depressionen schwach 30879. Aufgrund der Versorgungsrelevanz (häufige Nachfrage von Patient*innen, mediale Präsenz) wird im Folgenden die Evidenz für ernährungsbasierte Interventionen und Akupunktur dargestellt. Für den CAM zugerechnete Bewegungstherapien (Yoga, Qi Gong, Tai Chi) siehe Kapitel 9.6 Bewegungs- und Sporttherapien.
9.10.1 Ernährungsbasierte Interventionen
Für keine ernährungsbasierte Intervention mit Mikronährstoffen (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Fett- und Aminosäuren u. a.) gibt es aus Sicht der Leitliniengruppe belastbare Evidenz für Patient*innen mit depressiven Störungen. Dies gilt auch für Omega-3-Fettsäuren, trotz der im Vergleich zu anderen ernährungsbasierten Interventionen breiteren Evidenzbasis. Dem unsicheren Nutzen steht als Schadenspotenzial das Risiko einer mangelnden Adhärenz bzw. Ablehnung evidenzbasierter Therapien gegenüber. Hinzu kommen die von den Patient*innen privat zu tragenden Kosten, die Gefahr von Interaktionen und eine mögliche Verstärkung eines ungesunden Lebensstils. Aus diesem Grund erscheint der Leitliniengruppe eine Negativ-Empfehlung gerechtfertigt.
Die konsensbasierte Empfehlung für eine gesunde und ausgewogene Ernährung zielt nicht nur auf die Erhaltung oder Verbesserung der allgemeinen Gesundheit, sondern auch auf die Überwindung von Antriebslosigkeit und die Aktivierung der Patient*innen, mit denen die Beschaffung gesunder Lebensmittel und die Zubereitung von Mahlzeiten verbunden ist.
Evidenzbasis
Es erfolgte eine systematische Recherche nach aggregierter Evidenz.
Evidenzbeschreibung
Es wurden themenübergreifende (Meta-)Reviews, Reviews zu Einzelsubstanzen (Acetyl-L-Carnitin, Antioxidant uric acid, (chinesische) Kräuter, Kurkuma, Folsäure, L-Tryptophan, Magnesium, Probiotika, Omega-3-Fettsäuren, Safran, SAMe, Vitamin D, Zink) sowie Reviews zu besonderen Populationen (Depression als Komorbidität, peripartale Depression) identifiziert. Die qualitative Synthese erfolgte auf Basis von 2 aktuellen und qualitativ hochwertigen Meta-Reviews 30879, 30880. Für eine zusammenfassende Darstellung der Evidenz für die einzelnen Substanzen siehe Evidenztabellen im Leitlinienreport 32140. Die Evidenzqualität wurde von den Autor*innen der Meta-Reviews als sehr niedrig eingeschätzt: Methodische Mängel und das daraus resultierende hohe Biasrisiko, Inkonsistenz sowie Impräzision der Ergebnisse machen die in den Studien gezeigten Effekte unsicher; hinzu kommt eine mangelnde Übertragbarkeit (Indirektheit), da nicht (nur) Patient*innen mit diagnostizierter Depression in die Studien eingeschlossen waren.
Aufgrund der etwas abweichenden Bewertung der beiden Meta-Reviews bezüglich Omega-3-Fettsäuren wurden zusätzlich die in der systematischen Recherche identifizierten Übersichtsarbeiten 30904, 30906, 30907, 30908 sowie der in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierte Cochrane-Review 29430 zu dieser Fragestellung ausgewertet. Obwohl quantitativ mehr Evidenz vorliegt, ist deren Qualität aus den gleichen wie für die anderen Einzelsubstanzen aufgeführten Gründen ebenfalls als sehr niedrig einzuschätzen (siehe Evidenztabellen im Leitlinienreport 32140), so dass für Omega-3-Fettsäuren keine abweichende Empfehlung ausgesprochen wird.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Die meisten Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, Fett- und Aminosäuren …) können über eine normale ausgewogene Ernährung in ausreichender Menge aufgenommen werden. Dem nicht nachgewiesenen Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln stehen als Schadenspotenzial neben den privat zu tragenden Kosten mögliche unerwünschte Wirkungen (z. B. Hepatotoxizität bei übermäßiger Einnahme von Vitamin B6) gegenüber. Vor allem aber kann die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln die Inaktivität der Patient*innen verstärken, da scheinbar keine Notwendigkeit mehr besteht, gesundes Essen zuzubereiten, sich im Freien aufzuhalten oder Sport zu treiben.
Weiterführende Informationen: Bedeutung des Mikrobioms
Forschungsergebnisse zur Rolle der Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse deuten darauf hin, dass sich das Darmmikrobiom von Patient*innen mit depressiven Störungen von dem gesunder Kontrollpersonen unterscheidet. Es gibt auch bereits erste klinische Interventionstudien bei depressiven Störungen, z. B. mit Präbiotika, Antibiotika oder Stuhltransplantationen. Die Evidenz bezüglich der spezifischen Assoziationen und insbesondere bezüglich der Interventionen ist derzeit aus Sicht der Leitliniengruppe jedoch noch nicht ausreichend, um valide Aussagen treffen zu können.
9.10.2 Akupunktur
Insgesamt schätzt die Leitliniengruppe die Evidenz zu Akupunktur bei depressiven Störungen als wenig belastbar ein und verzichtet daher auf die Formulierung einer Empfehlung. Da der überwiegende Anteil der Studien in Asien durchgeführt wurde, ist zudem unklar, inwieweit die Ergebnisse auf Deutschland übertragen werden können. Dem unsicheren Nutzen steht als Schadenspotenzial das Risiko einer mangelnden Adhärenz bzw. Ablehnung evidenzbasierter Therapien gegenüber. Hinzu kommen die von den Patient*innen privat zu tragenden Kosten.
Evidenzbasis
Das Kapitel beruht auf in der themenübergreifenden systematischen Recherche identifizierter Evidenz.
Evidenzbeschreibung
In der Metaanalyse eines qualitativ hochwertigen Cochrane-Reviews zum Vergleich von Akupunktur und Scheinakupunktur ergab sich eine geringgradige Reduktion der mit HAMD erhobenen depressiven Symptomatik (SMD -1,69 (95% KI -3,33; -0,05); N = 14, n = 841), wobei der Effekt unterhalb der Relevanzschwelle von 2 Punkten auf der HAMD-Skala lag. Die Evidenzqualität wird aufgrund der hohen Heterogenität der Studien, dem hohen Verzerrungsrisiko und Hinweisen auf Publikationsbias als sehr niedrig bewertet. Die Effekte gegenüber Warteliste oder Standardtherapie waren moderat (SMD -0,66 (95% KI -1,06; -0,25); N = 5, n = 488; niedrige Evidenzqualität); zum Vergleich mit medikamentöser oder Psychotherapie konnten aufgrund der schwachen Evidenz keine Aussagen getroffen werden. Die meisten Studien berichteten keine Daten zur Sicherheit 29464.
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Flyer: Was ist wichtig? Was ist neu?
Die Kernaussagen der NVL für Ärztinnen und Ärzte zusammengefasst.
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Foliensatz
Für Präsentationen zu den NVL bei Kongressen.
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Unipolare Depression – Algorithmen
Mit aktiven Verweisen direkt in die Leitlinie.
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Depression – Antidepressiva: Was ist beim Absetzen zu beachten?
Sie werden weitergeleitet auf unsere Seite Patienten-Information.de
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Depression – Antidepressiva: Was sollte ich wissen?
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Depression – Antidepressiva: Was tun, wenn ein Antidepressivum nicht wirkt?
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Depression – Antidepressiva: Hilft ein genetischer Test das richtige Mittel zu finden?
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Depression – Hilft Johanniskraut gegen Depressionen?
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Depression – Ist eine Krankschreibung für mich sinnvoll?
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Depression – Psychotherapie und Antidepressiva: Was sind Vor- und Nachteile?
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Depression – Sind Benzodiazepine bei einer Depression ratsam?
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Depression – Sind Zauberpilze, Cannabis oder Lachgas sinnvoll?
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Depression – Was bringen mir Sport und Bewegung?
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Depression – Was ist eine repetitive Transkranielle Magnetstimulation?
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Depression – Was passiert bei einer Elektrokonvulsions-Therapie?
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Depression – Was sollten Angehörige wissen?
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Depression – Welche Behandlung ist für mich geeignet?
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Depression – Wie erkenne ich eine Depression?
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Depression – Wo finde ich Hilfe?
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Depression: Psychotherapie – Welche Verfahren gibt es?
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Patientenleitlinie Depression
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Depression
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Depression - Angehörige und Freunde
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Depression - Schwangerschaft und Geburt
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Langfassung
NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022
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Kurzfassung
NVL Unipolare Depression, Version 3.2, 2022
Das Archiv enthält abgelaufene, zurückgezogene Dokumente zur Nationalen Versorgungsleitlinie Unipolare Depression.
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Langfassung, Version 3.1
ersetzt durch Version 3.2, Juli 2023
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Kurzfassung, Version 3.1
ersetzt durch Version 3.2, Juli 2023
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Langfassung, Version 3.0
ersetzt durch Version 3.1, Januar 2023
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Kurzfassung, Version 3.0
ersetzt durch Version 3.1, Januar 2023
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Langfassung, Version 3, Konsultationsfassung
ersetzt durch Version 3.0, September 2022
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Langfassung, 2. Auflage, Version 5
ersetzt durch Version 3.0, September 2022
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Langfassung, 2. Auflage, Version 4
ersetzt durch Version 5, März 2017. Begründung: redaktionelle Änderungen
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Langfassung, 2. Auflage, Version 3
ersetzt durch Version 4, Oktober 2016. Begründung: redaktionelle Änderungen
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Langfassung, 2. Auflage, Version 2
ersetzt durch Version 3, März 2016. Begründung: redaktionelle Änderungen
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Langfassung, 2. Auflage, Version 1
ersetzt durch Version 2. Begründung: Ergänzt wurden in den Empfehlungskästen die Levels of Evidence (LoE) für die im Rahmen des Updates nicht modifizierten, sondern bestätigten Empfehlungen.
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Langfassung, 2. Auflage, Konsultationsentwurf
ersetzt durch Finalfassung. 2. Auflage, Version 1, November 2015.
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Langfassung, 1. Auflage, Version 5
ersetzt durch 2. Auflage, Version 1, November 2015.
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Langfassung, 1. Auflage, Version 1.3
ersetzt durch Version 5, Juni 2015. Begründung: Grundsätzliche Änderung der vorgegebenen Gültigkeit aller NVL von vier auf fünf Jahre, Einführung neuer Versionsnummerierung, Ergänzung der DOI sowie redaktionelle Änderungen. Gültigkeit auf Antrag des Leitliniensekretariates nach Überprüfung verlängert bis zum 31.08.2015
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Langfassung, 1. Auflage, Version 1.2
ersetzt durch Version 1.3, Januar 2012. Begründung: Ergänzungen zu Citalopram und Escitalopram im Kapitel "H 3.6.2.1 Kardiovaskuläre Erkrankungen und Schlaganfall"
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Langfassung, 1. Auflage, Konsultationsentwurf, Version 1.2
ersetzt durch Finalfassung. Begründung: Ende der Konsultationsphase am 28. August 2009
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Langfassung, 1. Auflage, Version 1.1
ersetzt durch Version 1.2, August 2011. Begründung: Änderung zu Reboxetin, redaktionelle Änderungen
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Langfassung, 1. Auflage, Konsultationsentwurf, Version 1.1
ersetzt durch Version Kons. 1.2, Juli 2009. Begründung: Ergänzung Kapitel 4
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Langfassung, 1. Auflage, Version 1.0
ersetzt durch Version 1.1, Dezember 2009. Begründung: Korrektur der Zusammenfassung des systematischen Reviews von Rose et al. 2003, S. 138
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Langfassung, 1. Auflage, Konsultationsentwurf, Version 1.0
ersetzt durch Version Kons. 1.1, Juni 2009. Begründung: Redaktionelle Änderungen im Impressum, inhaltlich unverändert
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Kurzfassung, 2. Auflage, Version 1
PDF zum Download
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 5 - englisch
Gültigkeit abgelaufen, November 2015. Begründung: Veröffentlichung der Langfassung, 2. Auflage
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 5
Gültigkeit abgelaufen, November 2015. Begründung: Veröffentlichung der Langfassung, 2. Auflage
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 1.3 - englisch
ersetzt durch Version 5, Juni 2015. Begründung: Extension of the validity period from four to five years for all NDMG in principle, new version numbering, addition of the DOI, editorial changes. Validity extended until August 31, 2015 on request of the guideline office
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 1.3
ersetzt durch Version 5, Juni 2015. Begründung: Grundsätzliche Änderung der vorgegebenen Gültigkeit aller NVL von vier auf fünf Jahre, Einführung neuer Versionsnummerierung, Ergänzung der DOI sowie redaktionelle Änderungen. Gültigkeit auf Antrag des Leitliniensekretariates nach Überprüfung verlängert bis zum 31.08.2015
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 1.2 - englisch
ersetzt durch Version 1.3, Januar 2012. Begründung: Anpassung der Versionsnummerierung an Langfassung, erste Version: 1.2
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 1.2
ersetzt durch Version 1.3, Januar 2012. Begründung: Anpassung der Versionsnummerierung an Langfassung
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 1.1
ersetzt durch Version 1.2, August 2011. Begründung: Änderung zu Reboxetin, redaktionelle Änderungen
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Kurzfassung, 1. Auflage, Version 1.0
ersetzt durch Version 1.1, Dezember 2009. Begründung: Anpassung der Versionsnummerierung an Langfassung, ohne inhaltliche Änderungen
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Leitlinienreport, Version 3, Konsultationsfassung
ersetzt durch Version 3.0, September 2022
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Leitlinienreport, 2. Auflage, Version 5
ersetzt durch Version 3.0, September 2022
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