7 Medikamentöse Therapie
7.1 Hinweis zum Off-Label-Use
Die in der NVL empfohlenen Therapieoptionen sind nicht immer für alle adressierten Patient*innengruppen, Indikationen oder Dosierungen zugelassen. Empfehlungen oder Angaben, die einen möglichen Off-Label-Use beinhalten, sind in der NVL nicht gesondert gekennzeichnet. Für den jeweils aktuellen Zulassungsstatus verweist die Leitliniengruppe auf die Fachinformationen der Hersteller.
Unter "Off-Label-Use" wird der zulassungsüberschreitende Einsatz eines Arzneimittels verstanden.
Um die Wirkstoffe als Off-Label-Use in der klinischen Praxis einzusetzen, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:
- nachgewiesene Wirksamkeit;
- günstiges Nutzen-Risikoprofil;
- fehlende Alternativen – Heilversuch.
Weiterhin haben die Behandelnden eine besondere Aufklärungspflicht über mögliche Konsequenzen (z. B. keine Herstellerhaftung) im Rahmen der gemeinsamen Entscheidungsfindung.
Ein "Off-Label-Use" ist dementsprechend nur bei schwerwiegenden Erkrankungen zulässig, wenn es keine Behandlungsalternative gibt. Nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse muss die begründete Aussicht bestehen, dass die Behandlung zu einem Erfolg führt.
7.2 Algorithmus medikamentöse Therapie der Hypertonie
Empfehlung |
|
---|---|
7-1 | e | neu 2023 Ist bei Menschen mit Hypertonie unter Berücksichtigung
eine medikamentöse Therapie indiziert, soll der Therapie-Algorithmus (siehe Abbildung 5 sowie Tabelle 13) angewendet werden. |
ACEI = Angiotensin-Konversionsenzym-Hemmer (ACE-Hemmer), ARB = Angiotensin-II-Rezeptorblocker, eGFR = geschätzte glomeruläre Filtrationsrate als Abschätzung der Kreatinin-Clearance; KOF = Körperoberfläche Ergänzend wird auf die aktuelle Version der jeweiligen Nationalen VersorgungsLeitlinien verwiesen (www.leitlinien.de). |
7.2.1 Wirkstoffklassen der ersten Wahl
Tabelle 13: Wirkstoffklassen der ersten Wahl (in alphabetischer Reihenfolge)
Wirkstoffklasse |
Kommentar |
Häufige unerwünschte Wirkungen |
---|---|---|
Angiotensin-Konversionsenzymhemmer (ACE-Hemmer, ACEI)/ |
|
Hyperkaliämie, Angioödem Reizhusten (insbesondere ACEI) |
Kalziumkanalblocker |
|
Ödembildung (insbesondere bei Dihydropyridin-Kalziumkanalblockern) Bradykardie (insbesondere bei Non-Dihydropyridin-Kalziumkanalblockern) Migräne |
Thiazid-artige Diuretika oder Thiazide |
|
potenzielle Nebenwirkungen/Risiken beachten:
|
Der Algorithmus (Abbildung 5) beruht auf den klinischen Einschätzungen der Leitliniengruppe sowie auf systematisch ermittelter Evidenz. Für die Wirkstoffe der ersten Wahl wurde dabei der Fokus auf die im deutschen Versorgungsalltag am häufigsten verordneten Wirkstoffgruppen gelegt (Tabelle 13). Ergänzt werden weitere Wirkstoffklassen, die nachgelagert oder zusätzlich in der Therapie Verwendung finden (Tabelle 19).
Wirkstoffklassen der ersten Wahl
Aus der systematisch recherchierten Evidenz lässt sich prinzipiell die Wirksamkeit von Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten (ARB), Angiotensin-Konversionsenzym-Inhibitoren (ACE-Hemmer), Kalziumkanalblockern, Thiaziden bzw. thiazidartigen Diuretika und Betablockern bei Hypertonie ableiten, wobei die Effekte gegenüber Plazebo auf die priorisierten Endpunkte (Mortalität, kardiovaskuläre Ereignisse) unterschiedlich groß sind (hohe bis geringe Aussagesicherheit der Evidenz) 29980, 29994, 29987, 32117. Die teils geringe Aussagesicherheit der Evidenz für Kalziumkanalblocker und Betablocker ergibt sich unter anderem aus inkonsistenten bzw. unpräzisen Effekten.
Für ACE-Hemmer wird die Datenlage insgesamt besser bewertet, für Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten (ARB, Sartane) sieht die Leitliniengruppe ein günstigeres Nebenwirkungsprofil (insbesondere bezüglich Husten und Angioödem) 29994. Zu beachten ist bei chronischer Nierenerkrankung ein höheres Risiko einer verschlechterten Nierenfunktion sowie Hyperkaliämie unter ARB, insbesondere bei Kombination mit weiteren Wirkstoffen.
Direkte Vergleiche von Betablockern mit Inhibitoren des Renin-Angiotensin-Systems (RAS-Inhibitoren) geben Anhaltspunkte für einen geringeren Therapieeffekt bei der Prophylaxe des Schlaganfalls, wobei diese nicht sehr sicher sind 29987. Da andere gut geprüfte Wirkstoffe zur Verfügung stehen 29980, 28001, sieht die Leitliniengruppe keine primäre Indikation für Betablocker bei Hypertonie, wenn keine manifesten kardialen Erkrankungen vorliegen.
Die antihypertensive Wirksamkeit von thiazidartigen Diuretika (Chlorthalidon/Indapamid) wird insgesamt besser bewertet als die von Hydrochlorothiazid in der üblichen Dosierung – Ableitung aus Ergebnissen systematischer Übersichtsarbeiten zu randomisierten kontrollierten Studien und/oder Beobachtungsstudien mit Anhaltspunkt für eine geringe Aussagesicherheit der Evidenz (siehe Absatz Diuretikavergleiche) 31475, 31464, 31458. Die Rate an unerwünschten Wirkungen (UAW) wurde als nicht signifikant verschieden beurteilt 31475, 31464, 31458. Für den direkten Vergleich der thiazidartigen Diuretika untereinander (Chlorthalidon vs. Indapamid) konnten im Rahmen der systematischen Recherche keine randomisierten Vergleiche identifiziert werden. Die Leitliniengruppe weist darauf hin, dass hohe Diuretikadosierungen in der Versorgungspraxis nicht mehr üblich sind. Dies wird durch eine ergänzend betrachtete Studie bestätigt 33299. Thiazidartige Diuretika (Chlorthalidon oder Indapamid) sowie Thiazide (Hydrochlorothiazid) in niedriger Dosierung werden als Therapieoptionen der ersten Wahl im Algorithmus abgebildet, wobei die thiazidartigen Diuretika, wenn möglich, bevorzugt eingesetzt werden.
Aus diesen Überlegungen leitet die Leitliniengruppe die Wirkstoffklassen der 1. Wahl laut Tabelle 13 ab.
Zur therapieresistenten Hypertonie siehe Kapitel 7.3 Medikamentöse Therapie der therapieresistenten Hypertonie sowie Abbildung 5.
Zu weiteren Wirkstoffklassen siehe Tabelle 19 und Tabelle 20. Hier werden blutdrucksenkende Effekte im Vergleich zu Plazebo oder anderen antihypertensiv wirksamen Wirkstoffen berichtet 29980, 29954, 27998, 29935, 29945, 29939, 29955, 29944, 29963, 30126 (moderate, teils geringe Aussagesicherheit der Evidenz). Daher werden sie als nachgelagerte oder ergänzende Therapieoptionen bzw. als Therapieoptionen bei speziellen Personengruppen aufgenommen.
Wirkstoffwahl
Zur Wirkstoffwahl siehe Empfehlung 7-2.
Kombinationstherapie
Aus der identifizierten Evidenz lässt sich nicht ableiten, für wen eine Kombinationstherapie in Bezug auf Mortalität oder kardiovaskuläre Ereignisse vorteilhaft ist 30995, 30124. Anhaltspunkte auf einen Vorteil bezüglich Mortalität und kardiovaskulärer Ereignisse ergeben sich für Menschen mit Hypertonie und Komorbidität Diabetes mellitus (sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz) – wobei dieser ggf. auf Menschen mit hohem kardiovaskulären Risiko extrapolierbar ist. Eine Entscheidung zur medikamentösen Mono- sowie Kombinationstherapie richtet sich daher nach den individuellen Charakteristika der Betroffenen – insbesondere Alter bzw. Gebrechlichkeit, Komorbidität bzw. kardiovaskulären Risikofaktoren sowie dem Ausgangsblutdruck bzw. dem Erreichen des Zielblutdrucks. Zudem spielt die Adhärenz eine Rolle (siehe auch Kapitel 5 Partizipative Entscheidungsfindung und Therapieplanung).
Ab einer Hypertonie Grad 2 (systolischer Blutdruck von 160 mmHg, siehe auch Tabelle 2) empfiehlt die Leitliniengruppe bevorzugt eine Kombinationstherapie, insbesondere auch wegen der blutdrucksenkenden Effekte und weil erfahrungsgemäß oft eine intensivere Therapie nötig ist, um das individuell vereinbarte Blutdruckziel zu erreichen (zur Dosissteigerung siehe auch Empfehlung 7-4). Bei entsprechender Kontrolle ist auch der Start mit einer Substanz und in der Folge ggf. das Hinzufügen eines zweiten Wirkstoffs möglich.
Therapieanpassung
Zur Therapieeskalation siehe Empfehlung 7-3 und 7-4.
Fixkombination
Die Leitliniengruppe sieht einen Vorteil einer Fixkombination gegenüber der freien Kombination zur Förderung der Persistenz und Adhärenz sowie zur Reduktion der Tablettenlast, wobei insbesondere bei schwer einstellbarer Hypertonie bessere Therapieergebnisse erwartet werden (vgl. Empfehlung 7-5, sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz) – ergänzend siehe auch Empfehlungen 5-6 bis 5-9 sowie 7-15, 9-3 und 9-4).
Stellenwert nichtmedikamentöser Maßnahmen
In der Regel sind nichtmedikamentöse und medikamentöse Therapie komplementäre Säulen der Therapie (siehe auch Kapitel 6 Nichtmedikamentöse Therapie). Ob in Einzelfällen zunächst eine Ausschöpfung nichtmedikamentöser Maßnahmen sinnvoll sein kann, hängt von patientenindividuellen Faktoren ab.
Bezüglich des individuell zu vereinbarenden Blutdruckzielwertes siehe Abbildung 3.
Evidenzbasis
In die Diskussion einbezogen wurden die Ergebnisse einer strukturierten Recherche nach systematischen Übersichtsarbeiten – u. a. Evidenzberichte der Cochrane Collaboration 29980, 29994, 29987, 32117, 29954, 27998, 29935, 29945, 29939, 29955, 29944, 29963, 30995, 29941, 28094, 29946, 29940, 29953, 29950, 618, 29951, 29938, 30997, 29979 und des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) 30126, 30124, 30122, 30125. Zusätzlich diskutiert wurde die Evidenz des Mediaktionskatalogs 2021 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) 31088.
Ergänzend erfolgten systematische Literaturrecherchen zu weiteren relevanten Schlüsselfragen 31384: Einnahmezeitpunkten (systematische Übersichtsarbeiten, randomisierte kontrollierte Studien sowie Kohortenstudien) 31275, 31001, 31272, 31276, 31271, 29956, 31269, 31270, 31261, 31264, 31262, 31267, 31273, 31265, Fixkombination mit Diuretika vs. der freien Kombination der entsprechenden Wirkstoffe (Kohortenstudien) 31331, 31326, 26087, 31309, 31330, 31312, 31316, 31328, Low-Ceiling-Diuretika-Vergleiche (systematische Übersichtsarbeiten, randomisierte kontrollierte Studien sowie Kohortenstudien) 31475, 31464, 31458, 31461, 31487, 31478, 31445, 31431, 31457, 31433. Ergänzend betrachtet wurden zwei Studien, die nach dem Recherchezeitraum erschienen sind und wertvolle Zusatzinformationen für die Diskussion lieferten (u. a. weitere Endpunkte) 33299, 32978.
Die Auswertung der Evidenz konzentrierte sich auf die für den deutschen Versorgungsalltag relevanten Wirkstoffgruppen, wobei Angiotensin-II-Rezeptorblocker (AT1-Rezeptor-Antagonisten, Sartane), Angiotensin-Konversionsenzym-Hemmer (ACE-Hemmer), Beta-Adrenozeptorantagonisten (Betablocker), Kalziumkanalblocker, Diuretika sowie deren Kombinationen als die größten Gruppen unter den Antihypertensiva gelten 31260, 32979. In der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland wurden 2020 dabei am häufigsten die ACE-Hemmer (6 050 Mio. therapeutische Tagesdosen (DDD)) gefolgt von den Sartanen (Gruppe der Angiotensin-II-Rezeptorblocker) (4 373 Mio. DDD), Calciumantagonisten (Kalziumkanalblocker) (2 589 Mio. DDD), Betablockern (2 192 Mio. DDD) und Diurtetika (1 935 Mio DDD) verordnet 32979.
Zudem wurden die klinischen Erfahrungen der Leitliniengruppe genutzt, um die Themen nach Relevanz zu priorisieren. Eine detaillierte Beschreibung der herangezogenen Evidenz findet sich in den jeweiligen Unterkapiteln.
Evidenzbeschreibung
Zur Beschreibung der Evidenz der Wirkstoffe der ersten Wahl wurden fünf systematische Übersichtsarbeiten herangezogen 29980, 29994, 29987, 32117, 29968, wobei eine Arbeit zur nachgelagerten Bewertung der Betablocker gegenüber den Wirkstoffklassen der ersten Wahl führte (Tabelle 13) 29987. Zu den Betablockern siehe Kapitel 7.2.3 Weitere Wirkstoffklassen und spezifische Therapie. Ergänzend wurden drei weitere Übersichtsarbeiten aus der systematischen Recherche zu Low-Ceiling-Diuretika-Vergleichen herangezogen 31475, 31464, 31458.
Wirkstoffklassen
Wright et al. 2018 berichtete zur Mortalität, Morbidität, Blutdruckdifferenz sowie zu Therapieabbrüchen auf Grund von unerwünschten Wirkungen von ACE-Hemmern, Betablockern, Kalziumkanalblockern sowie Thiazid- bzw. thiazidartigen Diuretika in unterschiedlicher Dosierung (niedrig und hochdosiert) gegenüber Plazebo oder keiner medikamentösen Therapie (AMSTAR-II-Bewertung "moderate", n = 24 eingeschlossene RCT, n = 58 040 Teilnehmende, mittleres Alter 56 Jahre, mittlere Beobachtungsdauer 3–5 Jahre; Tabelle 14) 29980. Diese Arbeit fand keine den Einschlusskriterien entsprechenden Studien zu Alpharezeptorblockern (siehe Tabelle 19) sowie Angiotensin-II-Rezeptorblockern 29980. Zu Blutdruckdifferenzen von Angiotensin-II-Rezeptorblockern gegenüber Plazebo berichteten Heran et al. 2008 (maximale systolische/diastolische Blutdruckdifferenz zwischen -6/-3 mmHg und -10/-7 mmHg; Gesamtklassenschätzer systolisch -9,31 mmHg (95 % KI -10,25; -8,37)/diastolisch -6,22 mmHg (95 % KI -6,82; -5,62)) 29968.
Einen Vergleich zwischen Angiotensin-II-Rezeptorblockern (ARB) gegenüber ACE-Hemmern (ACEI) in Bezug auf die Mortalität, kardiovaskuläre Ereignisse und Therapieabbruch auf Grund unerwünschter Wirkungen untersuchten Li et al. 2014 (AMSTAR-II-Bewertung "low", n = 9 Studien, wobei n = 8 Studien mit n = 10 963 Teilnehmden in die Metaanalysen eingeschlossen wurden) 29994. Für die Endpunkte wurden berichtet:
- Gesamtmortalität RR 0,98 (95% KI 0,88; 1,10), n = 5 Studien (ARB vs. ACEI)
- kardiovaskuläre Mortalität RR 0,98 (95% KI 0,85; 1,13), n = 4 Studien (ARB vs. ACEI)
- kardiovaskuläre Ereignisse RR 1,07 (95% KI 0,96; 1,19), n = 3 Studien (ARB vs. ACEI)
- Therapieabbruch auf Grund unerwünschter Wirkungen RR 0,83 (95% KI 0,74; 0,93), n = 8 (ARB vs. ACEI).
Dabei ist zu beachten, dass der Großteil der herangezogenen Daten für die Analyse der primären Endpunkte aus einer Studie stammte, die als Nichtunterlegenheitsstudie mit mehreren Studienarmen konzipiert wurde 29994.
Tabelle 14: Morbidität und Mortalität sowie Blutdruckdifferenz und Therapieabbrüche auf Grund von unerwünschten Wirkungen von ACE-Hemmern, Betablockern, Kalziumkanalblockern sowie Thiazid- bzw. thiazidartigen Diuretika gegenüber Plazebo oder keiner medikamentösen Therapie aus 29980
Differenz RR (95% KI) I2 Anzahl Studien, Patient*innen (n) Qualität der Evidenz |
ACE-Hemmer vs. Kontrolle |
Betablocker vs. Kontrolle |
Kalziumkanalblocker vs. Kontrolle |
Thiazid- bzw. thiazidartige Diuretika niedrigdosiert vs. Kontrolle |
Thiazid- bzw. thiazidartige Diuretika hochdosiert vs. Kontrolle |
---|---|---|---|---|---|
Mortalität |
11,3% vs. 13,6% 0,83 (0,72; 0,95) I² = 0% n = 3, n = 6 002 moderat |
6,0% vs. 6,2% 0,96 (0,86; 1,07) I² = 25% n = 5, n = 19 313 moderat |
5,1% vs. 6,0% 0,86 (0,68; 1,09) n = 1, n = 4 695 gering |
9,8% vs. 11,0% 0,89 (0,82; 0,97) I² = 0% n = 8, n = 19 874 hoch |
2,8% vs. 3,1% 0,90 (0,76; 1,05) I² = 21% n = 11, n = 19 839 moderat |
Kardiovaskuläre Ereignisse |
15,3% vs. 20,1% 0,76 (0,67; 0,85) I² = 0% n = 2, n = 5 145 moderat |
6,8% vs. 7,6% 0,89 (0,81; 0,98) I² = 54% n = 5, n = 19 313 gering |
5,7% vs. 8,0% 0,71 (0,57; 0,87) n = 1, n = 4 695 gering |
9,0% vs. 12,9% 0,70 (0,64; 0,76) I² = 0% n = 7, n = 19 022 hoch |
3,7% vs. 5,1% 0,72 (0,63; 0,82) I² = 35% n = 11, n = 19 839 moderat |
Schlaganfall |
3,9% vs. 6,0% 0,65 (0,52; 0,82) I² = 0% n = 3, n = 6 002 gering |
2,8% vs. 3,4% 0,83 (0,72; 0,97) I² = 7% n = 5, n = 19 313 gering |
1,9% vs. 3,4% 0,58 (0,41; 0,84) n = 1, n = 4 695 gering |
4,2% vs. 6,2% 0,68 (0,60; 0,77) I² = 0% n = 8, n = 19 874 hoch |
0,9% vs. 1,9% 0,47 (0,37; 0,61) I² = 46% n = 11, n = 19 839 moderat |
Koronare Herzkrankheit |
11,0% vs. 13,5% 0,81 (0,70; 0,94) I² = 0% n = 2, n = 5 145 moderat |
3,9% vs. 4,4% 0,90 (0,78; 1,03) I² = 4% n = 5, n = 19 313 gering |
2,4% vs. 3,1% 0,77 (0,55; 1,09) n = 1, n = 4 695 gering |
2,8% vs. 3,9% 0,72 (0,61; 0,84) I² = 0% n = 7, n = 19 022 hoch |
2,7% vs. 2,7% 1,01 (0,85; 1,20) I² = 0% n = 11, n = 19 839 gering |
Therapieabbruch (auf Grund von UAW) |
- |
14,4% vs. 3,1% 4,59 (4,11; 5,13) I² = 96% n = 4, n = 18 565 gering |
- |
11,3% vs. 5,0% 2,38 (2,06; 2,75) I² = 96% n = 3, n = 8 870 gering |
9,8% vs. 2,2% 4,48 (3,83; 5,24) I² = 31% n = 7, n = 15 170 gering |
mittlere Blutdruckdifferenz in mmHg (99 % KI) |
systolisch -21,14 (-23,13; n = 2, n = 1 071
diastolisch -9,64 (-10,70; n = 2, n = 1 071 (sehr) gering |
systolisch -9,51 (-10,16; n = 5, n = 18 833
diastolisch -5,64 (-6,06; -5,22) I² = 89% n = 5, n = 18 833 (sehr) gering |
systolisch -8,90 (-10,14; n = 1, n = 4 695
diastolisch -4,50 (-5,10; -3,90) n = 1, n = 4 695 (sehr) gering |
systolisch -12,56 (-13,22; n = 8, n = 18 685
diastolisch -4,73 (-5,12; -4,34) I² = 98% n = 8, n = 18 685 (sehr) gering |
systolisch -13,66 (-14,40; n = 6, n = 14 906
diastolisch -6,82 (-7,24; -6,41) I² = 97% n = 10, n = 19 347 (sehr) gering |
Anzahl (n): Studien, Patient*innen, I2 = statistisches Heterogenitätsmaß; KI = Konfidenzintervall, Kontrolle = Plazebo bzw. keine medikamentöse Therapie, RR = Risk Ratio, UAW = unerwünschte Ereignisse |
Chen et al. 2018 untersuchten den Vergleich der Mortalität und Morbidität zwischen Hemmstoffen des Renin-Angiotensin-Systems (RAS-Inhibitoren: ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten – Sartane, Renin-Inhibitoren – Aliskiren) gegenüber anderen Antihypertensiva (AMSTAR-II-Bewertung "moderate", n = 45 eingeschlossene RCT, n = 66 625 Patient*innen, mittleres Alter 66 Jahre, mittlere Beobachtungsdauer 1,9 Jahre; Tabelle 15) 29987. Die Qualität der Evidenz wurde dabei für 37 der eingeschlossenen Studien abgewertet, u. a. auf Grund der kleinen Studiengrößen sowie von Unterschieden in der möglichen Ergänzung weiterer Antihypertensiva im Rahmen der Therapie 29987.
Tabelle 15: Mortalität und Morbidität von RAS-Inhibitoren (ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, Renin-Inhibitoren) gegenüber anderen Antihypertensiva aus 29987
RR (95% KI) Anzahl Studien, Patient*innen (n) Qualität der Evidenz |
Mortalität |
Schlaganfall |
Herzinfarkt |
Hospitalisierung (Herzinsuffizienz) |
Kardiovaskuläre Ereignisse |
Chronische Nierenkrankheit |
---|---|---|---|---|---|---|
RAS-Inhibitoren vs. Betablocker |
0,89 (0,78; 1,01) n = 1, n = 9 193 gering |
0,75 (0,63; 0,88) n = 1, n = 9 193 gering |
1,05 (0,86; 1,27) n = 2, n = 9 239 gering |
0,95 (0,76; 1,18) n = 1, n = 9 193 gering |
0,88 (0,80; 0,98) n = 2, n = 9 239 gering |
- |
RAS-Inhibitoren vs. Kalziumkanalblocker |
1,03 (0,98; 1,09) n = 5, n = 35 226 moderat |
1,19 (1,08; 1,32) n = 4, n = 34 673 moderat |
1,01 (0,93; 1,09) n = 5, n = 35 043 moderat |
0,83 (0,77; 0,90) n = 5, n = 35 143 moderat |
0,98 (0,93; 1,02) n = 6, n = 35 223 moderat |
0,88 (0,74; 1,05) n = 4, n = 19 551 gering |
RAS-Inhibitoren vs. Thiazide |
1,00 (0,94; 1,07) n = 1, n = 24 309 moderat |
1,14 (1,02; 1,28) n = 1, n = 24 309 moderat |
0,93 (0,86; 1,01) n = 2, n = 24 379 moderat |
1,19 (1,07; 1,31) n = 1, n = 24 309 moderat |
1,05 (1,00; 1,11) n = 2, n = 24 379 moderat |
1,10 (0,88; 1,37) n = 1, n = 24 309 gering |
Anzahl (n): Studien, Patient*innen, KI = Konfidenzintervall, RAS-Inhibitoren = Hemmstoffe des Renin-Angiotensin-Systems, RR = risk ratio |
Zhu et al. 2022 verglichen in ihrem Update einer systematischen Übersichtsarbeit Kalziumkanalblocker (CCB) und andere Antihypertensiva – darunter ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptorblocker, Betablocker und/oder Diuretika (AMSTAR-II-Bewertung "high", n = 23 eingeschlossene Studien, n = 153 849 Patient*innen; darunter n = 18 zu Dihydropyridin-Derivaten (wie Amlodipin, Nifedipin, Felodipin, Nisoldipin, Nicardipin, Lacidipin, Isradipin), n = 4 Studien zu anderen Kalziumkanalblockern (wie Verapamil oder Diltiazem) sowie n = 1 ohne Spezifizierung der CCB) 32117. In der Aktualisierung wurden im Vergleich zu 2010 fünf neue Studien eingeschlossen – die Ergebnisse führten zu keinen inhaltlich veränderten Aussagen gegenüber der Vorversion; teilweise wurden Konfidenzintervalle präziser und die statistische Heterogenität angeglichen (größere Fallzahl). Ergebnisse zu Gesamtmortalität, Herzinfarkt, Schlaganfall, chronischer Herzinsuffizienz, kardiovaskulärer Mortalität sowie Ereignissen und dem Blutdruck finden sich in Tabelle 16. Anzumerken ist, dass die Definition hypertensiver Personen zwischen den Studien variierten, weitere antihypertensive Wirkstoffe als ergänzende Therapie zugelassen wurden und Heterogenität bei einigen Vergleichen berichtet wurde, was bei der Interpretation der Effekte zu berücksichtigen ist 32117.
Tabelle 16: Mortalität und Morbidität sowie Blutdruckdifferenzen von Kalziumkanalblockern gegenüber anderen Antihypertensiva aus 32117
RR (95 % KI) I2 Anzahl Studien, Patient*innen (n) Qualität der Evidenz |
CCB vs. ACEI |
CCB vs. ARB |
CCB vs. BB |
CCB vs. Diuretika |
CCB vs. Diuretika |
---|---|---|---|---|---|
Gesamtmortalität |
0,97 (0,91; 1,03) I2 = 0% n = 7, n = 27 999 gering |
1,00 (0,92; 1,08) I2 = 0% n = 6, n = 25 611 moderat |
0,94 (0,88; 1,00) I2 = 0% n = 4, n = 44 825 moderat |
0,98 (0,92; 1,04) I2 = 0% n = 5, n = 35 057 moderat |
1,03 (0,94; 1,12) I2 = 0% n = 3, n = 31 892 moderat |
kardiovaskuläre Mortalität |
0,98 (0,89; 1,07) I2 = 0% n = 6, n = 27 619 moderat |
0,79 (0,54; 1,15) I2 = 0% n = 3, n = 4 642 moderat |
0,90 (0,81; 0,99) I2 = 62% n = 4, n = 44 825 low Vergleiche mit unterschiedlichen CCB |
1,02 (0,93; 1,12) I2 = 0% n = 4, n = 32 721 moderat |
1,04 (0,92; 1,18) I2 = 0% n = 3, n = 31 892 - |
Herzinfarkt |
1,05 (0,97; 1,14) I2 = 66% n = 7, n = 27 999 gering Vergleiche mit unterschiedlichen CCB |
0,82 (0,72; 0,94) I2 = 0% n = 6, n = 25 611 moderat |
0,90 (0,79; 1,02) I2 = 0% n = 3, n = 22 249 moderat |
1,00 (0,92; 1,08) I2 = 0% n = 5, n = 34 072 moderat |
1,05 (0,93; 1,19) I2 = 72% n = 3, n = 31 892 moderat Vergleiche mit unterschiedlichen CCB |
Schlaganfall |
0,90 (0,81; 0,99) I2 = 28% n = 7, n = 27 999 gering |
0,87 (0,76; 1,00) I2 = 15% n = 6, n = 25 611 moderat |
0,77 (0,67; 0,88) I2 = 0% n = 3, n = 22 249 moderat |
0,94 (0,84; 1,05) I2 = 0% n = 5, n = 34 072 moderat |
0,92 (0,81; 1,03) I2 = 55% n = 3, n = 31 892 moderat |
chronische Herzinsuffizienz |
1,16 (1,06; 1,28) I2 = 0% n = 5, n = 25 276 low |
1,20 (1,06; 1,36) I2 = 66% n = 5, n = 23 265 low |
0,83 (0,67; 1,04) I2 = 0% n = 2, n = 19 915 low |
1,37 (1,25; 1,51) I2 = 17% n = 5, n = 34 072 moderat |
1,15 (0,99; 1,33) I2 = 0% n = 3, n = 31 892 low |
kardiovaskuläre Ereignisse |
0,98 (0,94; 1,02) I2 = 45% n = 5, n = 25 186 - |
0,97 (0,78; 1,22) I2 = 32% n = 3, n = 6 874 - |
0,84 (0,77; 0,92) I2 = 0% n = 3, n = 22 249 - |
1,05 (1,00; 1,09) I2 = 0% n = 4, n = 33 642 - |
1,02 (0,95; 1,10) I2 = 0% n = 2, n = 21 011 - |
systolischer/ |
-1,11 (-1,40; -0,82) I2 = 85% n = 4, n = 19 368 -0,63 (-0,81; -0,44) I2 = 0% n = 4, n = 19 368 - |
-2,10 (-2,46; -1,74) I2 = nicht anwendbar n = 1, n = 15 245 -1,70 (-1,91; -1,49) I2 = nicht anwendbar n = 1, n = 15 245 - |
0,25 (-0,31; 0,81) I2 = 42% n = 3, n = 23 474 0,15 (-0,16; 0,45) I2 = 21% n = 3, n = 23 474 - |
0,81 (0,56; 1,06) I2 = 0% n = 3, n = 24 963 -0,68 (-0,84; -0,52) I2 = 28% n = 3, n = 24 963 - |
3,00 (2,59; 3,41) I2 = nicht anwendbar n = 1, n = 10 881 0,10 (-0,07; 0,27) I2 = nicht anwendbar n = 1, n = 10 881 - |
ACEI = ACE-Hemmer, Anzahl (n): Studien, Patient*innen, ARB = Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten, BB = Betablocker, CCB = Kalziumkanalblocke; I2 = statistisches Heterogenitätsmaß, Kardiovaskuläre Ereignisse (Herzinfarkt, chronische Herzinsuffizienz, Schlaganfall oder kardiovaskuläre Mortalität); RR Risk Ratio (95 % Konfidenzintervall (KI)) |
Diuretikavergleiche
Die drei herangezogenen systematischen Übersichtsarbeiten verglichen Hydrochlorothiazid (HCTZ) mit Chlorthalidon (CTLD) 31475, 31458, HCTZ mit Indapamid (INDAP) 31458 oder HCTZ mit beiden thiazidartigen Diuretika (CTLD oder INDAP) 31464. Betrachtet wurden der Blutdruck 31475, 31464, 31458 und die Serum-Kalium- sowie Natriumspiegel 31475, 31464, 31458 (Tabelle 17). Liang et al. 2017 berichteten zudem die Vergleiche zwischen den Serumkonzentrationen von Cholesterol sowie Glucose 31464.
Dineva et al. 2019 schlossen randomisierte kontrollierte Studien oder Beobachtungsstudien ein (Recherche bis Dezember 2019), wobei Personen berücksichtigt wurden, die Diuretika allein oder in Kombination erhielten und milde oder moderate, essentielle Hypertonie aufwiesen – auch Personen mit Koronarer Herzkrankheit waren zulässig 31475. Liang et al. 2017 schlossen randomisierte kontrollierte Studien oder doppelt verblindete kontrollierte Studien ein (Recherche bis Januar 2017) und betrachteten Personen mit Bluthochdruck (SBP ≥ 140 mmHg oder DBP ≥ 90 mmHg) und einer Mono- oder Kombinationstherapie 31464. Roush et al. 2015 schlossen randomisierte Studien ein (Recherchezeitraum leider nicht angegeben), wobei die Autor*innen keine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) fanden, die CTDN mit INDAP verglich und insgesamt keine RCT, die kardiovaskuläre Endpunkte im Vergleich der Diuretika berichtete 31458.
Die eingeschlossenen Kohortenstudien berichteten auch über klinische Endpunkte wie Tod oder kardiovaskuläre Ergebnisse (siehe Leitlinienreport 31384), wurden aber auf Grund der Limitationen im Studiendesign, u. a. "Residual Confounding" (z. B. "Confounding by Indication") oder "Unmeasured Confounding" an dieser Stelle nicht herangezogen.
Dineva et al. 2019 berücksichtigten für ihre Analyse Daten zu den am häufigsten genutzten Dosierungen der Diuretika, wobei 12,5–25 mg angegeben wurden und über eine Variation der Dosen für HCTZ von 12,5–100 mg/Tag sowie für CTLD von 6,25–100 mg/Tag berichtet wurde 31475.
Tabelle 17: Ergebnisse Low-Ceiling-Diuretikavergleiche 31475, 31464, 31458
|
Dineva et al. 2019 31475 |
Liang et al. 2017 31464 |
Roush et al. 2015 31458 |
---|---|---|---|
AMSTAR-II-Bewertung |
"low" aktuellster Suchzeitraum |
"critically low" Ergänzung zu 31458 |
"critically low" klinische Bewertung der eingeschlossenen Studien |
Charakteristika |
n = 9 Studien eingeschlossen n = 51 789 Patient*innen Dauer 4 bis 364 Wochen Tool des Effective Public Health Practice Projects (n = 4 Studien mit geringer Qualität; n = 2 dieser Studien ausgeschlossen aus Metaanalyse) Publikationsbias berichtet |
n = 12 Studien eingeschlossen n = 1 580 Patient*innen zusammengefasste Auswertung Jadad Scale Bewertung |
n = 14 Studien eingeschlossen (n = 10 mit HCTZ-INDAP Vergleich sowie n = 3 mit HCTZ-CTDN Vergleich) Beobachtung 4 bis 26 Wochen Diskussion des Risikos für Fehler Sensitivitätsanalysen |
Mortalität, CVE |
- |
- |
- |
SBP, mmHg |
(CTLD vs. HCTZ) WMD -3,26 (95% KI -4,58; -1,07) I2 = 23% n = 7 Studien* |
(CTLD oder INDAP vs. HCTZ) MD -5,59 (95% KI -5,69; -5,49) I² = 10% n = 10 Studien, n = 1 307 Patient*innen
|
(INDAP vs. HCTZ) MD -5,1 (95% KI -8,7; -1,6) n = 10 Studien
(CTDN vs. HCTZ) MD -3,6 (95% KI -7,3; 0,03) n = 3 Studien
|
DBP, mmHg |
(CTLD vs. HCTZ) WMD -2,41 (95% KI -3,87; -0,95) I2 = 43% n = 4 Studien |
(CTLD oder INDAP vs. HCTZ) MD -1,98 (95% KI -3,29; -0,66) I² = 85% n = 11 Studien, n = 1 347 Patient*innen
|
- |
Serum-Na/K, mEq/L |
(CTLD vs. HCTZ) K WMD -0,22 (95% KI -0,32; -0,11) I2 = 18% n = 3 Studien Na, n = 1 Studie (Pareek et al. 2009 "conclude that there are no significant changes in serum electrolytes, blood sugar, and other laboratory parameters in patients treated with CTLD and HCTZ."). |
(CTLD oder INDAP vs. HCTZ) Inzidenz von: Hypokaliämie OR 1,58 (95% KI 0,80; 3,12) I² = 27% n = 4 Studien, n = 1 050 Patient*innen
Hyponatriämie MD -0,14 (-0,57; 0,30) I² = 0% n = 2 Studien
|
(INDAP vs. HCTZ) K MD -0,054 (95% KI -0,296; 0,188) n = 9 Studien
|
weitere |
- |
(CTLD oder INDAP vs. HCTZ) Veränderung: Serumcholesterol MD 0,11 (-0,02; 0,24) I² = 0% n = 4 Studien, n = 550 Patient*innen
Serumglucose MD 0,13 (-0,16; 0,41) I² = 69% n = 7 Studien, n = 804 Patient*innen
|
- |
CTLD = Chlorthalidon, CVE = kardiovaskuläre Ereignisse, DBP = diastolischer Blutdruck, HCTZ = Hydrochlorothiazid, INDAP = Indapamid, KI = Konfidenzintervall, MD = mittlere Differenz, OR = Odds Ratio, SBP = systolischer Blutdruck, WMD = gewichtete, mittlere Differenz * n = 3 Studien mit Kombinationstherapie (Kwon BJ et al. 2013 (Candesartan), Bakris GL et al. 2012 (Azilsartan), Pareek A et al. 2009 (Losartan)) |
Eine ergänzende Arbeit aus dem Jahr 2022 (aus dem Diuretic Comparison Project), die nach dem Recherchezeitraum erschien, wurde in Bezug auf kardiovaskuläre Ereignisse sowie Tod betrachtet 33299. Die Ergebnisse stützen die Empfehlungen der NVL (vgl. Tabelle 13):
- kombinierter Endpunkt nach im Median 2,4 Jahren: bei n = 1 377 Patient*innen (n = 702 (10,4 %) unter Chrlorthalidon vs. n = 675 (10,0 %) unter Hydrochlorothiazid; HR 1,04 (95 % KI 0,94; 1,16); P = 0,45) 33299.
Es handelt sich um ein pragmatisches, offenes Studiendesign mit dem Ansatz, die Überlegenheit von Chlorthalidon zu prüfen 33299. Eingeschlossen wurden Patient*innen mit arterieller Hypertonie (Alter mindestens 65 Jahre) aus dem Versorgungsalltag (n = 13 523 Teilnehmende (n = 6 767 Patient*innen mit beibehaltener Therapie mit Hydrochlorothiazid vs. n = 6 756 Patient*innen, die von einer Therapie mit Hydrochlorothiazid zu einer Therapie mit Chrlorthalidon wechselten)) 33299. Anzumerken ist, dass der mittlere systolische Blutdruk zu Studienbeginn bei 139 mmHg lag und dass 15,4% (n = 1 039) der Patient*innen der Chlorthalidon-Gruppe zurück zur Therapie mit Hydrochlorothiazid wechselten sowie 3,8% der Patient*innen der Hydrochlorothiazid-Gruppe im Verlauf Chrlorthalidon erhielten 33299. Zudem berichten die Autor*innen eine erhöhte Inzidenz von Hypokaliämien unter Chlorthalidon (6,0% vs. 4,4%, P < 0,001) sowie einen qualitativen Zusammenhang mit der Gruppenzuteilung und Herzinfarkt sowie Schlaganfall in der Historie der Patient*innen 33299.
Patientenmaterialien
- Patientenblatt "Was sind die wichtigsten Medikamente?"
- Patientenblatt "Wie kommt es zu Gefäßschäden und Folgeerkrankungen?"
(siehe Patientenblätter)
7.2.2 Prinzipien der medikamentösen Therapie
7.2.2.1 Wirkstoffwahl und Kombination
Empfehlung |
|
---|---|
7-2 | k | neu 2023 Die Wirkstoffwahl und die Entscheidung zur Kombinationstherapie sollen unter patientenindividuellen Abwägungen und partizipativ getroffen werden (siehe Empfehlung 5-4). |
Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine starke Empfehlung aus, die gute klinische Praxis beschreibt, wonach individuelle Faktoren wie Allgemeinzustand, Komorbidität und andere Kontextfaktoren (siehe Empfehlung 5-1) wie auch mögliche Neben- oder Wechselwirkungen (siehe Tabelle 19) leitend bei der Wirkstoffwahl und bei der Entscheidung zur Kombinationstherapie sind. Den starken Empfehlungsgrad begründen zudem die Verpflichtung zur Schadensminimierung sowie das ethische Prinzip der Autonomie.
Evidenzbasis
Die Empfehlung berücksichtigt die systematisch identifizierte Evidenz zur Wirksamkeit der einzelnen Wirkstoffe und deren Kombinationen und beruht auf den ethischen Prinzipien der Schadensminimierung und der Autonomie.
Ergänzend wurden zur Fragestellung der antihypertensiven Kombinations- gegenüber der Monotherapie zwei systematische Übersichtsarbeiten aus der strukturierten Recherche zur NVL Hypertonie herangezogen 30995, 30124
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Wirkstoffwahl
Zur Evidenzgrundlage der Wirkstoffklassen siehe auch die Kapitel 7.2.1 Wirkstoffklassen der ersten Wahl sowie 7.2.3 Weitere Wirkstoffklassen und spezifische Therapie. Zudem wird auf die aktuelle Version der NVL Chronische Herzinsuffizienz, der NVL Diabetes sowie der NVL Koronare Herzkrankheit verwiesen (www.leitlinien.de). Zur spezifischen Therapie bei der angegebenen Komorbidität sind im Register der AWMF spezifische und übergeordnete Leitlinien gelistet (register.awmf.org/de/start) – z. B. Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke: Teil 1, S2k-Leitlinie (register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-133).
Kombinationstherapie
Die zur initialen medikamentösen Mono- oder Kombinationstherapie in der Leitliniengruppe diskutierten systematischen Übersichtsarbeiten/Evidenzberichte erlauben auf Grund unterschiedlicher Limitationen nur eingeschränkte Aussagen. Geringe Zahlen an eingeschlossenen Personen sowie eine begrenzte Betrachtung der Wirkstoffe und Endpunkte erschweren die allgemeine, evidenzbasierte Beurteilung einer Kombinations- gegenüber einer Monotherapie als erste Wahl bei Hypertonie.
Garjon et al. 2020 (AMSTAR-II-Bewertung "moderat") schlossen drei Studien (n = 568 Teilnehmende) zum Vergleich der Kombinationen von ACE-Hemmern mit Thiaziden oder Kalziumkanalblockern gegenüber einer antihypertensiven Monotherapie ein – wobei für die Gesamtmortalität eine RR 1,35 (95% KI 0,08–21,72), für schwere unerwünschte Wirkungen eine RR 0,77 (95% KI 0,31–1,92), für kardiovaskuläre Ereignisse eine RR 0,98 (95% KI 0,22–4,41) berichtet wurden 30995. Die Aussagesicherheit der Evidenz wurde mit "niedrig" bewertet, u. a. auf Grund von Änderungen im Studienprotokoll (in einer Studie), der ausschließlichen Analyse von Subgruppen, der Heterogenität sowie breiten Konfidenzintervallen 30995.
Der Evidenzbericht des NICE Institutes von 2019 konnte für den Vergleich einer Mono- gegenüber einer Kombinationstherapie nur für eine Auswahl der betrachteten Endpunkte Studien einschließen (AMSTAR-II-Bewertung "moderat", n = 3 Studien) 30124. Für Personen mit Hypertonie wurden keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen Mono- und Kombinationstherapie berichtet (Kreatininserumspiegel: n = 1 Studie, n = 457 Teilnehmende, hohe Qualität der Evidenz; Therapieabbruch auf Grund unerwünschter Ereignisse: n = 1 Studie, n = 418 Teilnehmende, geringe Qualität der Evidenz) 30124. Für Menschen mit Bluthochdruck und Diabetes mellitus Typ 2 wurden für diese beiden Endpunkte ebenfalls keine klinisch signifikanten Ergebnisse berichtet (Kreatininserumspiegel: n = 1 Studie, n = 481 Teilnehmende, sehr geringe Qualität der Evidenz; Therapieabbruch auf Grund unerwünschter Ereignisse: n = 2 Studie, n = 481 sowie n = 538 Teilnehmende, sehr geringe Qualität der Evidenz) – für schwere kardiovaskuläre Ereignisse eine RR 0,39 (95% KI 0,15–0,98), n = 1 Studie, n = 481 Patienten, sehr geringe Qualität der Evidenz im Vergleich der Kombinations- gegenüber der Monotherapie 30124.
Sowohl die Autor*innen der Übersichtsarbeit als auch die Leitliniengruppe bewerteten die präsentierten Daten als unzureichend, um die untersuchte Fragestellung evidenzbasiert zu beantworten. Im Algorithmus zur initialen medikamentösen Therapie sind daher sowohl die Monotherapie als auch die Kombinationstherapie konsensbasiert nebeneinander unter Beschreibung der Einflussgrößen dargestellt (Abbildung 5).
Fixkombinationstherapie
Siehe auch Empfehlung 7-5.
7.2.2.2 Therapieanpassung
Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine starke Empfehlung aus, um einen Schaden durch zu frühe Therapieeskalation zu vermeiden (z. B. zu strenge Blutdruckeinstellung, Schwindel, Sturzneigung). Schadenspotenzial sieht die Leitliniengruppe nicht, daher begründet das Prinzip der Schadensvermeidung den starken Empfehlungsgrad.
Zur bevorzugten Kombination zweier Wirkprinzipien spricht die Leitliniengruppe eine abgeschwächte Empfehlung aus. Erfahrungsgemäß sind sich ergänzende Therapieprinzipien zweier niedrigdosierter Wirkstoffe hilfreich bei der Prävention von unerwünschten Wirkungen durch hohe Dosen eines Einzelwirkstoffs. Der abgeschwächte Empfehlungsgrad ist unter anderem darin begründet, dass keine guten Vergleichsstudien vorliegen und in einigen Fällen bei guter Verträglichkeit und wirkstoffabhängig auch eine Steigerung bis zur Ausdosierung sinnvoll sein kann.
Evidenzbasis
Die Empfehlungen werden konsensbasiert ausgesprochen und beruhen auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Die Adhärenz zur medikamentösen Therapie, andere Arzneimittel oder weitere Faktoren beeinflussen die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie. Potenzielle unerwünschte Wirkungen, individuelle Faktoren (z. B. eingeschränkte Sehfähigkeit oder kognitive Beeinträchtigungen) verhindern in einigen Fällen die Umsetzung der vereinbarten Therapie und beeinträchtigen die Lebensqualität der Erkrankten. Zudem führen mögliche, u. a. dosisabhängige, blutdrucksteigernde Effekte weiterer Wirkstoffe (z. B. nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Glucocorticoide, orale Kontrazeptiva) oder eine starke Blutdrucksenkung (bspw. durch orthostatische Hypotonie) zu falschen oder übersehenen Blutdruckwerten. Eine Berücksichtigung vor Therapieanpassung kann hilfreich sein für eine erfolgreiche und sichere Therapie.
Die unterschiedlichen antihypertensiven Wirkstoffe haben zudem verschiedene Wirkprinzipien, die sich ergänzen können und damit eine geringere Dosierung beider Wirkstoffe ermöglichen. Sie fördern beispielsweise die Ausscheidung von Ionen und Wasser, was zu einem geringeren Blutvolumen führt, senken das Herzzeitvolumen, den Muskeltonus und den peripheren Gefäßwiderstand sowie die Bildung von Wachstumsfaktoren und entlasten damit durch unterschiedliche Mechanismen das Herz-Kreislaufsystem.
Patientenmaterialien
- Patientenblatt "Wie schaffe ich es, an meiner Behandlung dranzubleiben?"
(siehe Patientenblätter)
7.2.2.3 Fixkombination
Empfehlung |
|
---|---|
7-5 | e | neu 2023 Erfolgt eine Kombinationstherapie, sollte diese bevorzugt als Fixkombination angeboten werden. |
Die Leitliniengruppe sieht einen Vorteil einer antihypertensiven Fixkombination – sofern vorhanden – gegenüber der freien Kombination zur Förderung der Persistenz und Adhärenz sowie zur Reduktion der Tablettenlast (sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz). Dies bietet die Chance, gegebenenfalls weitere, mit Polypharmazie einhergehende Risiken insbesondere in Bezug auf Arzneimitteltherapiesicherheit zu reduzieren. Zudem wurden Hinweise auf die Reduktion von Todesfällen und Hospitalisierung auf Grund kardiovaskulärer Ereignisse (kombinierter Endpunkt) bei bestimmter Fixkombination gegenüber der freien Kombination ermittelt (sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz). Schadenspotenzial sieht die Leitliniengruppe nicht. Aufgrund der eingeschränkten Aussagesicherheit der Evidenz spricht die Leitlieningruppe eine Empfehlung mit abgeschwächtem Empfehlungsgrad aus.
Evidenzbasis
Eine systematische Recherche zur Fixkombination antihypertensiver Wirkstoffe mit einem Diuretikum gegenüber der freien Kombination der Wirkstoffe lieferte Ergebnisse aus Kohortenstudien 31331, 31326, 26087, 31309, 31330, 31312, 31316, 31328 u. a. in Bezug auf die Adhärenz, wobei zwei Arbeiten den deutschen Versorgungskontext widerspiegelten 26087, 31309 (siehe auch Empfehlung 5-6). Eine ergänzende Studie aus Deutschland wurde nach dem Recherchezeitraum auf Grund ergänzend betrachteter Endpunkte herangezogen 32978.
Evidenzbeschreibung
Ergebnisse aus der systematischen Recherche zur NVL Hypertonie (2021) nach prospektiven und retrospektiven (Kohorten-) Studien zur Schlüsselfrage der Fixkombination antihypertensiver Wirkstoffe mit einem Diuretikum gegenüber freier Kombination liefern Anhaltspunkte für den Vorteil einer Fixkombination antihypertensiver Wirkstoffe zur Förderung der Adhärenz und Persistenz 31384. Im deutschen Versorgungskontext berichteten zwei retrospektive Analysen zur Adhärenz bzw. Persistenz zur antihypertensiven Therapie (Tabelle 18) 26087, 31309. Dabei wurden aus einer Datenbankanalyse für Kombinationen mit Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten (ARB) bei Menschen mit Hypertonie (ICD-10 Code I10; n = 17 310 Teilnehmende) Adhärenzraten zwischen 72,8%–78,1% für die Fixkombination gegenüber 71,5%–76,2% für die freie Kombination je nach Kombination über zwölf Monate berichtet 31309. Aus einer weiteren Analyse von Verordnungsdaten der gesetzlichen Krankenversicherung (ohne Zuordnung der Indikation Hypertonie) gingen adjustierte Non-Persistenz- und Non-Adhärenz-Raten der initialen Kombinationstherapie mit Diuretika gegenüber der freien Therapie über einen Zweijahreszeitraum hervor 26087.
Tabelle 18: Antihypertensive Fixkombinationen mit Diuretika vs. freier Kombination, Deutschland
Quelle |
Wirkstoffgruppen |
Teilnehmende |
Persistenz |
Adhärenz |
---|---|---|---|---|
Antihypertensiva + Diuretikum
|
n = 255 501 |
Non-Persistenz (Fixkombination oder freie Therapie): 76,2% vs. 79,3%; P < 0,001 n = 41 713 vs. n = 159 159 aHR 0,916 (99,9% KI 0,863; 0,973) |
Non-Adhärenz (MPR < 0,8) (Fixkombination oder freie Therapie): 50,4% vs. 56,3%; P < 0,001 n = 27 587 vs. n = 113 136 aOR 0,802 (99,9% KI 0,715; 0,900) |
|
Antihypertensiva + Diuretikum
|
n = 347 619 ARB-Kombination n = 17 310 |
- |
Mittlere Compliance (MPR), fixe oder freie Kombination): ARB+HCT: 78,1% vs. 71,5%, P < 0,0001 ARB+HCT+andere: 79,4% vs. 72,0%, P < 0,0001 ARB+Amlodipin: 72,8% vs. 75,5%, P = 0,1964 ARB+Amlodipin+andere: 78,1% vs. 76,2%, P = 0,1158 ARB+Amlodipin+HCT: nicht berechenbar vs. 75,4% P = nicht anwendbar |
|
a = adjustiert, ARB = Angiotensin-II-Rezeptorblocker, HCT = Hydrochlorothiazid, HR = Hazard Ratio, KI = Konfidenzintervall, MPR = Medication Possession Ratio, OR = Odds Ratio |
Auch bei der Beurteilung der Ergebnisse der Kohortenstudien sind Limitationen zu beachten, u. a. potenzielles Residual Confounding (zusätzliche Einflussfaktoren, die nicht bei der Adjustierung berücksichtigt werden konnten) sowie das Risiko für einen Selektions- bzw. Channelingbias auf Grund der Patienten-/Verordnungspräferenz von Wirkstoff(-kombinationen).
Beschrieben wurde zudem eine hohe Verordnungshäufigkeit mehrerer Wirkstoffe (Polymedikation) von bis zu sechs weiteren Substanzklassen bei den untersuchten Personen 26087. Ergänzend berichtet wurden u. a. Unterschiede in Bezug auf die soziodemografischen Charakteristika bei Personen, die Kombinationen von ARB, Amlodipin und Hydrochlorothiazid erhielten (z. B. eine höhere Anzahl an Patienten mit Komorbiditäten im Vergleich der Fixkombination gegenüber der freien Kombination) 31309. Dies kann bei der Wirkstoffauswahl und Entscheidung zur Mono- oder Kombinationstherapie ebenfalls von Relevanz sein.
Vorteile der fixen Kombination mehrerer Wirkstoffe werden u. a. in der Therapieadhärenz und Persistenz, der Senkung der Tabelettenlast sowie bei schwer einstellbarer Hypertonie gesehen, wobei unerwünschte Wirkungen sowie Risiken einer Polymedikation bei bestimmten Patient*innengruppen zu beachten sind. Vorteile freier Kombinationen begünstigen eine individuelle Therapieeinstellung, falls dies erforderlich ist (siehe auch Empfehlung 5-10).
Eine unterstützende Untersuchung aus dem deutschen Versorgungskontext, welche nach dem Recherchezeitraum publiziert wurde, stützt die These der besseren Therapieergebnisse bei schwer einstellbarer Hypertonie bzw. vorhandener Persistenz/Adhärenz durch eine Fixkombination 32978. Als Limitation ist hier u. a. zu beachten, dass ausschließlich Daten einer gesetzlichen Krankenversicherung analysiert und häufige Kombinationstherapien bei der Population untersucht wurden (z. B. Valsartan/Amlodipin/Hydrochlorothiazid-Kombinationen: n = 1,823 Patient*innen pro Vergleichsgruppe, Propensity Score Matching, Fixkombination vs. freie Kombination: Kombinierter Endpunkt aus Todesfällen und Hospitalisierungen auf Grund kardiovaskulärer Ereignisse (gesamt) HR = 0,68 (95% KI 0,61; 0,74) p ≤ 0,001) 32978. Als häufigste (Fix-) Kombinationen fanden sich in den Daten die Wirkstoffkombinationen aus Ramipril/Amlodipin, Bisoprolol/Amlodipin und Valsartan/Amlodipin, gefolgt von Valsartan/Amlodipin/Hydrochlorothiazid – wobei anzumerken ist, dass sich vor dem Matching die Zahlen an Patient*innen mit freier Kombination (n = 142 720) sowie Fixkombination (n = 52 517) deutlich unterschieden 32978. Auch hier sind häufige Komorbiditäten zu beachten (mittlerer Charlson Comorbidities Index (CCI) nach dem Matching: 2-4) sowie das Fehlen der Information zur Indikation der Wirkstoffpräparate 32978.
Weiterführende Informationen: Weitere Empfehlungen
Ergänzend siehe auch Empfehlungen 5-6 bis 5-10 zur Adhärenz/Selbstmanagement sowie 7-15 zur Medikationsanalyse und die Kapitel 9.2 Pflegekräfte und medizinische Fachangestellte sowie 9.3 Apotheker*innen.
7.2.2.4 Einnahmezeitpunkte
Ziel der medikamentösen Therapie ist eine normotensive Einstellung des Blutdrucks über den Tag und die Nacht (Langzeitblutdruckmessung). Dabei sind patientenindividuelle Einnahmezeitpunkte unter Beachtung u. a. der eingesetzten Wirkstoffklassen, der Komedikation, potenzieller unerwünschter Wirkungen sowie der Adhärenz zu berücksichtigen.
Evidenzbasis
Die Ergebnisse einer systematischen Recherche zum Vergleich der morgendlichen gegenüber einer abendlichen Einnahme (14. Juni 2021 31384) lassen nach Einschätzung der Leitliniengruppe keine Ableitung einer spezifischen Empfehlung zu. Neben den benannten patientenindividuellen Faktoren sind Limitationen im Studiendesign, Heterogenität sowie eingeschränkt zu betrachtende klinische Ergebnisse von Relevanz.
7.2.2.5 Abschätzung des kardiovaskulären Risikos
Empfehlung |
|
---|---|
7-6 | k | neu 2023 Die individuelle Einschätzung des kardiovaskulären Risikos für die Therapieplanung kann durch geeignete Scores unterstützt werden (z. B. arriba, ESC Charts, PROCAM). |
Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine offene Empfehlung aus, um beispielhaft den Nutzen eines unterstützenden Erhebungsinstruments hervorzuheben. Um dem Risiko einer Überschätzung des kardiovaskulären Risikos entgegenzuwirken, wird eine offene Empfehlung ausgesprochen, die nur im Zusammenhang mit weiteren Erwägungen und patientenindividuellen Faktoren zu sehen ist. Ebenfalls einschränkend ist, dass die genannten Scores nicht immer umgesetzt werden bzw. werden können. Einen Vorteil sieht die Leitliniengruppe darin, dass die Scores eine strukturierte Erfassung ermöglichen, Adhärenz zum Therapieplan fördern und als Kontrollwerte für die Therapiesteuerung dienen können.
Evidenzbasis
Die Empfehlung stellt einen Expert*innenkonsens dar und beruht auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe. Indirekt wird die Evidenz zur Evaluation der genannten Risikoscores herangezogen (siehe dort). Eine systematische Recherche zum Stellenwert der einzelnen Scores und deren Vergleichbarkeit wurde nicht durchgeführt, da es nicht die Zielstellung der Leitliniengruppe war, einzelne Scores bevorzugt zu empfehlen.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
In der Versorgungspraxis werden unterstützend Scores zur Einschätzung des kardiovaskulären Risikos eingesetzt, die aus Evaluationsinstrumenten abgeleitet werden. Hintergründe sind hier zumeist Kohortenstudien, die epidemiologische Abschätzungen zu einzelnen Risikofaktoren ermöglichen. Die individuelle Risikoeinschätzung ist komplex und beinhaltet mehrere Faktoren. Einige Scores wurden in der Empfehlung beispielhaft benannt:
- der arriba Score als Entscheidungshilfe im hausärztlichen Bereich (arriba-hausarzt.de);
- die European SCORE Risk Charts als Einschätzungshilfen aus dem kardiovaskulären Fachbereich (www.escardio.org/Education/Practice-Tools/CVD-prevention-toolbox/SCORE-Risk-Charts)* und
- der PROCAM-Test zur Risikobestimmung für einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, abgeleitet aus einer Beobachtungsstudie (www.assmann-stiftung.de/procam-studie).
* Score2 (Systematic Coronary Risk Estimation 2) – zur Abschätzung des 10-Jahresrisikos kardiovaskulärer Erkrankungen in Europa, siehe auch 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice European Heart Journal (2021) 42, 3227-3337 ESC GUIDE-LINES doi:10.1093/eurheartj/ehab484 oder SCORE2-OP (older persons)
7.2.3 Weitere Wirkstoffklassen und spezifische Therapie
Bitte beachten Sie die Hinweise unter Kapitel 7.1 Hinweis zum Off-Label-Use.
Tabelle 19: Weitere Wirkstoffklassen für spezielle Personengruppen
Wirkstoffklasse |
Kommentar |
Häufige unerwünschte Wirkungen |
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Aldosteronantagonisten |
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Hyperkaliämie, Hyponatriämie Gynäkomastie bei Männern (Spironolacton), Brustspannen bei Frauen (Spironolacton) gastrointestinale Nebenwirkungen (Eplerenon) |
Alpharezeptorblocker |
|
Hypotonie, orthostatische Hypotonie (insbesondere Dibenzyran) Ungeeignet bei Herzinsuffizienz und Koronarer Herzkrankheit (ALLHAT-Studie), Risiko für orthostatische Dysregulation mit erhöhter Sturzneigung, potenziell ungeeignete Medikation bei Älteren (PIM) |
Betablocker |
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Erhöhung der Blutglukose, Triglyceride und des Diabetesrisikos, Schlafstörungen, Beeinträchtigung der Libido/Erektionsstörungen |
Kaliumsparende Diuretika |
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Hyperkaliämie |
Renin-Inhibitoren |
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Hyperkaliämie erhöhtes Mortalitätsrisiko bei Patient*innen mit Diabetes mellitus |
Schleifendiuretika |
|
Hypokaliämie |
Zentrale Alpha-2-Rezeptor-Agonisten |
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Wasser- und Kochsalzretention, anticholinerge Effekte (Clonidin, PIM) |
Direkte Vasodilatatoren |
|
Tachykardie (Dihydralazin, Minoxidil), Ödembildung (v. a. bei Minoxidil), Haarwuchs (Minoxidil, Leidensdruck v. a. bei Frauen zu beachten) |
Evidenzbeschreibung
Zur Beschreibung der Evidenz der weiteren Wirkstoffklassen wurden zehn systematische Übersichtsarbeiten herangezogen 29980, 29954, 27998, 29935, 29945, 29939, 29955, 29944, 29963, 30126. Zudem wird auf die aktuelle Version der NVL Chronische Herzinsuffizienz, der NVL COPD, der NVL Typ-2-Diabetes sowie der NVL Chronische KHK verwiesen (www.leitlinien.de). Die Angaben zu häufigen unerwünschten Wirkungen bilden in ihrer Relevanz die klinische Erfahrung ab und begründen sich zumeist in der Pharmakologie.
Die herangezogenen Übersichtsarbeiten zu den in Tabelle 19 benannten Wirkstoffklassen berichten über blutdrucksenkende Effekte (Tabelle 20).
Betablocker haben für Patient*innen mit Komorbiditäten eine Relevanz (siehe Tabelle 19), wobei in der gesetzlichen Krankenversicherung v. a. Beta-1-selektive Betarezeptorblocker verordnet werden (in 2020: 1 923 Mio. DDD; 95% des Gesamtverordnungsvolumens von Betablocker-Monopräparaten 32979). Die Verordnungshäufigkeit von Betablocker-Monopräparaten insgesamt nimmt dabei zu – am häufigsten finden sich unter ihnen die Wirkstoffe Metoprolol (851 Mio. DDD) und Bisoprolol (840 Mio. DDD) 32979. In der gesetzlichen Krankenversicherung werden Kombinationen von Betablockern mit abnehmender Verordnungshäufigkeit beschrieben (siehe auch 32979).
Zu Dihydralazin und Minoxidil wurde in der strukturierten Recherche keine direkte Evidenz ermittelt. Kandler et al. 2011 untersuchten Hydralazin gegenüber Plazebo in der Monotherapie und schlossen keine randomisierte kontrollierte Studie ein, berichteten aber u. a. über klinische Erfahrungen in der antihypertensiven Therapie bei bestimmten Patient*innengruppen (Komorbidität Herzinsuffizienz) oder schwangeren Hypertoniepatient*innen 29963. Sie weisen auf ein verstärktes Monitoring und die Beachtung potenziell relevanter Risikofaktoren hin (z. B. Reflextachykardie) 29963. Zu Minoxidil als antihypertensiven Reservewirkstoff fand ein Evidenzbericht des NICE keine randomisierte kontrollierte Studie, die den Einschlusskriterien entsprach – wobei primär kardiovaskuläre Endpunkte sowie Lebensqualität betrachtet wurden 30126.
Die Leitliniengruppe führt Minoxidil sowie Dihydralazin zur Senkung des Blutdrucks als Reservewirkstoff auf (Tabelle 20). Begründet wird dies u. a. durch langjährige klinische Erfahrungen, existierende Cross-over-Studien zu Effekten auf den Blutdruck sowie die pharmakologische Wirkung an der glatten Muskulatur, was u. a. den peripheren Gefäßwiderstand senkt (Vasodilatation). Bei Dihydralazin wird die Senkung des Gefäßwiderstands in Gehirn und Nieren hervorgehoben, wobei die Nierendurchblutung während einer Langzeitbehandlung aufrechterhalten wird. Es wird aber auf die Kombination mit weiteren Antihypertensiva, u. a. zur Verringerung von potenziellen Risiken, sowie ein verstärktes Monitoring hingewiesen.
Tabelle 20: Effekt auf den Blutdruck (weitere Wirkstoffklassen)
Wirkstoffklasse |
Kommentar |
systolischer Blutdruck mittlere Blutdruckdifferenz mmHg (95% KI) |
diastolischer Blutdruck mittlere Blutdruckdifferenz mmHg (95% KI) |
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Aldosteronantagonisten |
Spironolacton vs. Plazebo 29954 Spironolacton Dosis 25-500 mg/Tag AMSTAR-II "low" |
-20,09 (-23,06 bis -16,58) (moderates–hohes Risk of Bias) n = 5 Studien n = 137 Teilnehmende |
-6,75 (-8,69 bis -4,08) (moderates–hohes Risk of Bias) n = 5 Studien n = 137 Teilnehmende |
|
Eplerenon vs. Plazebo 27998 Eplerenon Dosis 25–400 mg/Tag AMSTAR-II "low" |
-9,21 (-11,08 bis -7,34) (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) n = 5 Studien n = 1 437 Teilnehmende |
-4,18 (-5,03 bis -3,33) (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) n = 5 Studien n = 1 437 Teilnehmende |
Alpharezeptorblocker |
Alpharezeptorblocker: Doxazosin, Prazosin, Terazosin vs. Plazebo Dosis 2–20 mg/Tag AMSTAR-II "low" Blutdruck zu Studienbeginn 155/101 mmHg |
Gesamt: -8 mmHg -6,42 (-10,12 bis -2,80) -10,38 (-16,21 bis -4,56) -6,59 (-10,22 bis -2,96) (moderates–hohes Risk of Bias) n = 10 Studien n = 1 175 Teilnehmende |
Gesamt: -5 mmHg -3,53 (-4,99 bis -2,07) -6,90 (-9,79 bis -4,01) -4,40 (-5,95 bis -2,84) (moderates–hohes Risk of Bias) n = 10 Studien n = 1 175 Teilnehmende |
Betablocker |
Betablocker vs. Plazebo oder keine Behandlung AMSTAR-II "moderate" |
-9,51 (-10,16 bis -8,85) (geringe bis sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz) n = 5 Studien n = 18 833 Teilnehmende |
-5,64 (-6,06 bis -5,22) (geringe bis sehr geringe Aussagesicherheit der Evidenz) n = 5 Studien n = 18 833 Teilnehmende |
Kaliumsparende Diuretika |
Amilorid, Triamteren als Ergänzung zu weiteren Diuretika (Hydrochlorothiazid, Chlorthalidon) AMSTAR-II "moderate" Blutdruck zu Studienbeginn von 151/102 mmHg |
Amilorid+HCT vs. HCT -1,56 (- 5,97 bis 2,84) n = 4 Studien n = 224 Teilnehmende
Triamteren+Chlorthalidon vs. Chlorthalidon -0,01 (-3,63 bis 3,61) n = 2 Studien n = 211 Teilnehmende (unklares Risk of Bias für einige Domänen) |
Amilorid+HCT vs. HCT -0,67 (-3,53 bis 2,19) n = 4 Studien n = 224 Teilnehmende
Triamteren+Chlorthalidon vs. Chlorthalidon 0,20 (-2,01 bis 2,41) n = 2 Studien n = 211 Teilnehmende (unklares Risk of Bias für einige Domänen) |
Renin-Inhibitoren |
Aliskiren vs. Plazebo Aliskiren Dosis 75-600 mg/Tag AMSTAR-II "high" Blutdruck zu Studienbeginn von 152–160 mmHg/90–100 mmHg |
75 mg vs. Plazebo -2,97 (-4,76 bis -1,18) n = 5 Studien, n = 1 100 Teilnehmende (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 150 mg vs. Plazebo -5,95 (-6,85 bis -5,06) n = 12 Studien, n = 3 786Teilnehmende (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 300 mg vs. Plazebo -7,88 (-8,94 bis -6,82) n = 10 Studien, n = 3 009 Teilnehmende (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 600 mg vs. Plazebo -11,35 (-14,43 bis -8,27) n = 2 Studien, n = 393 Teilnehmende (geringe Aussagesicherheit der Evidenz) |
75 mg vs. Plazebo -2,05 (-3,13 bis -0,96) n = 5 Studien, n = 1 100 Teilnehmende (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 150 mg vs. Plazebo -3,16 (-3,74 bis -2,58) n = 12 Studien, n = 3 783 Teilnehmende (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 300 mg vs. Plazebo -4,49 (-5,17 bis -3,82) n = 10 Studien, n = 3 001 Teilnehmende (moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 600 mg vs. Plazebo -5,86 (-7,73 bis -3,99) n = 2 Studien, n = 393 Teilnehmende (geringe Aussagesicherheit der Evidenz) |
Schleifendiuretika |
Schleifendiuretika vs. Plazebo AMSTAR-II "moderate" Blutdruck zu Studienbeginn von 162/103 mmHg |
-7,9 (-10,4 bis -5,4) (geringe Aussagesicherheit der Evidenz) n = 9 Studien n = 460 Teilnehmende |
-4,4 (-5,9 bis -2,8) (geringe Aussagesicherheit der Evidenz) n = 9 Studien n = 460 Teilnehmende |
Zentrale Alpha-2-Rezeptor-Agonisten |
Alpha-Methyldopa vs. Plazebo Alpha-Methyldopa Dosis 500-2.250 mg/Tag AMSTAR-II "low" |
-21,88 (-41,14 bis -2,63) (moderates Risk of Bias) n = 7 Studien n = 231 Teilnehmende |
-8,53 (-12,21 bis -4,84) (moderates Risk of Bias) n = 7 Studien n = 231 Patient*innen |
Direkte Vasodilatatoren |
Dihydralazin, Minoxidil |
- (s. Hintergrundtext) |
- (s. Hintergrundtext) |
7.3 Medikamentöse Therapie der therapieresistenten Hypertonie
Definition |
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7-7 | e | neu 2023 Die therapieresistente primäre Hypertonie wird definiert als das Nichterreichen des Zielblutdrucks trotz tolerierter maximaler Dosierung von drei Antihypertensiva (vorzugsweise RAS-Blocker, Kalziumkanalblocker, thiazidartiges Diuretikum; siehe Abbildung 5). |
Die Leitliniengruppe einigt sich auf die Definition der therapieresistenten Hypertonie und stützt sich dabei auf die systematisch recherchierten Therapiestudien.
Evidenzbasis
Die Definition beruht auf der Definition aus den systematisch recherchierten Therapiestudien und den Begründungen der ESC/ESH Guidelines 29779 sowie der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Wird der Zielblutdruck nicht erreicht, kann dies unterschiedliche Gründe haben. Vor der Anpassung oder der Erweiterung der Therapie sieht die Leitliniengruppe einen Ausschluss einer Pseudohypertonie (z. B. durch Weißkittelhypertonie, blutdrucksteigernde Begleitmedikation) und der sekundären Hypertonie als relevant an (siehe Kapitel 3.2 Sekundäre Hypertonie), deren Behandlung an dieser Stelle nicht detailliert beschrieben wird. Dies dient insbesondere dazu, eine unnötige Intensivierung der antihypertensiven Basistherapie zu vermeiden, wenn andere, kausale Maßnahmen zur Blutdrucksenkung beitragen können. Wird eine therapieresistente Hypertonie bestätigt, werden die Empfehlungen zur medikamentösen Therapie im Algorithmus medikamentöse Therapie (Abbildung 5) gegeben. Diese basieren auf der Tabelle 19 sowie der dazugehörigen Evidenz unter der Evidenzbeschreibung.
Patientenmaterialien
- Patientenblatt "Was tun, wenn die Medikamente nicht wirken?"
(siehe Patientenblätter)
7.4 Patient*innen mit arterieller Hypertonie und Kinderwunsch
7.4.1 Vorbemerkungen
Die Leitliniengruppe verweist in Bezug auf die Diagnostik sowie das Monitoring auf die bestehenden und abgestimmten Empfehlungen der NVL Hypertonie. Insbesondere wird die Empfehlung 3-6 zu sekundären Ursachen einer Hypertonie im Kapitel 3.2 Sekundäre Hypertonie hervorgehoben und auf ein Versorgungsproblem bei Frauen im Alter unter 40 Jahren hingewiesen.
Dieses Kapitel beschreibt die medikamentöse antihypertensive Therapie bei Patient*innen mit arterieller Hypertonie und Kinderwunsch beziehungsweise bei unklarer Schwangerschaft (erster Trimenon). Für Bluthochdruckformen, die direkten Bezug zur Schwangerschaft haben, wird u. a. auf die S2k-Leitlinie "Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen" (Register-Nr. 015-018, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-018.html) verwiesen.
Auch die Wirkstoffwahl nach der Geburt wird durch das Kapitel adressiert, insbesondere bei Stillwunsch.
Die Empfehlungen in der NVL Hypertonie wurden in Zusammenarbeit mit den Autor*innen der S2k-Leitlinie "Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen" (Register-Nr. 015-018, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-018.html) sowie Expert*innen des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité Berlin (Embryotox, www.embryotox.de) erarbeitet.
Ziel ist, Frauen mit Kinderwunsch bzw. Frauen, die potenziell schwanger werden können, eine antihypertensive, medikamentöse Therapie anzubieten, die mit den Therapieempfehlungen in sowie nach der Schwangerschaft kompatibel ist. Gleichwohl handelt es sich bei der Zielpopulation um Frauen, für die prinzipiell die Therapieprinzipien und Empfehlungen der NVL Hypertonie gelten. Auch in Schwangerschaft und Stillzeit ist eine adäquate Therapie einer arteriellen Hypertonie von Bedeutung, da schwere Verläufe in der Schwangerschaft damit vermieden werden können. Neben der nichtmedikamentösen Therapie ist auch die medikamentöse Therapie von Relevanz.
Statement |
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7-8 | e | neu 2023 Kinderwunsch, mögliche bzw. bestehende Schwangerschaft oder Geburt eines Kindes sowie Stillzeit allein begründen kein Abweichen von den individuell vereinbarten Therapiezielen gemäß Empfehlung 5-2. |
Die Expert*innengruppe schätzt die Evidenz als moderat ein, dass Frauen mit Kinderwunsch und unerkannter Schwangerschaft von den in Empfehlung 5-2 definierten Therapiezielen profitieren, wobei sie einen Vorteil für eine Einstellung < 140/90 mmHg sieht. Da weitere individuelle Faktoren die Wahl des Therapieziels beeinflussen können, verweist die Leitliniengruppe auf die in Empfehlung 5-2 abgebildeten Prinzipien zur Wahl des Blutdruckzielwertes. Die Leitliniengruppe nimmt als Versorgungsproblem wahr, dass in der Nachsorgezeit (nach Entbindung), insbesondere in der Stillzeit, häufiger höhere Zielwerte akzeptiert würden.
Evidenzbasis
Das Statement beruht auf den systematischen Recherchen zu Empfehlung 5-2 sowie auf einer nach Ende des Recherchezeitraums erschienen Studie (Handsuche) zu Blutdruckzielwerten in der Schwangerschaft 32779.
Evidenzbeschreibung
Zu den Blutdruckzielwerten siehe Evidenzbeschreibung zu Empfehlung 5-2.
Zur Frage des optimalen Blutdruckzielwertes in der Schwangerschaft wurde eine randomisierte kontrollierte Studie eingebracht, die nach Ende des Recherchezeitraums erschienen war 32779. Dort zeigte sich ein Vorteil für einen Zielblutdruckwert von < 140/90 mmHg vs. < 160/105 mmHg für die Endpunkte Präeklampsie (n = 272 (23,3%) vs. n = 336 (29,1%); aRRi 0,80 (95% KI 0,70; 0,92); n = 1 RCT n = 2 408 Patient*innen) und Frühgeburt (n = 143 (12,2%) vs. n = 193 (16,7%); aRRi 0,73 (95% KI 0,60; 0,89); n = 1 RCT n = 2 408 Patient*innen) bei jeweils moderater Aussagesicherheit der Evidenz.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Insbesondere die Autor*innen der S2k-Leitlinie "Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen" (AWMF-Register-Nr. 015-018, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-018.html) weisen darauf hin, dass die unzureichende präkonzeptionelle Einstellung der Hypertonie ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung von Schwangerschaftskomplikationen ist.
Auch nach der Entbindung gelten die individuell vereinbarten Therapieziele; es gibt auch durch die Stillzeit keinen Anlass, von diesen Zielen abzuweichen (vgl. auch S2k-Leitlinie "Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen" (AWMF-Register-Nr. 015-018, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-018.html).
Die Leitliniengruppe weist auf geeignete/validierte Messgeräte und entsprechende Analogwerte hin, die insbesondere bei Neuanschaffung von Relevanz sind, da nur wenige Geräte eine Validierung für die Schwangerschaft aufweisen. Informationen finden sich unter anderem bei der Deutschen Hochdruckliga (www.hochdruckliga.de/betroffene/blutdruckmessgeraete).
Empfehlung |
|
---|---|
7-9 | e | neu 2023 Frauen im gebärfähigen Alter sollen für die medikamentöse, antihypertensive Therapie bei Kinderwunsch Wirkstoffe nach Tabelle 21 angeboten werden. |
Tabelle 21: Wirkstoffe der Wahl bei arterieller Hypertonie und Kinderwunsch
Wirkstoff |
Vorteile |
Nachteile |
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Nifedipin |
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Metoprolol |
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Alpha-Methyldopa (zentraler Alpha-2-Rezeptor-Agonist) |
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Ziel ist, Frauen mit Kinderwunsch oder unerkannter Schwangerschaft eine medikamentöse Therapie anzubieten, die in der Schwangerschaft fortgeführt werden kann.
Die Leitliniengruppe schätzt die Aussagesicherheit der Evidenz moderat ein, dass eine antihypertensive medikamentöse Therapie mit Nifedipin und Metoprolol im Vergleich zu Alpha-Methyldopa in der Schwangerschaft schwere Hypertonien reduziert.
Auf Basis der verfügbaren Daten zum Nutzen und Schadenspotential können alle drei Wirkstoffe in der Schwangerschaft gegeben werden, wobei für Alpha-Methyldopa die längste Erfahrung besteht.
Um die individuell angemessene Wahl eines Wirkstoffs zu ermöglichen, listet Tabelle 21 die Wirkstoffe mit Vor- und Nachteilen auf. Prinzipiell bleibt zu beachten, dass mit Nifidepin ein Wirkstoff zur Verfügung steht, der auch im Rahmen der Basistherapie für Nichtschwangere empfohlen wird. Ist eine starke Blutdrucksenkung erforderlich, ist auch eine Kombination der Wirkstoffe möglich.
Insbesondere die moderate Evidenz für den Vorteil einer antihypertensiven Therapie einerseits und die Schadenserwägungen andererseits begründen die Auswahl der Medikamente und den starken Empfehlungsgrad.
Evidenzbasis
Die Empfehlung beruht auf zwei systematischen Übersichtsarbeiten der Recherche 29972, 32159 sowie der langjährigen klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe und den Auswertungen des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin (Embryotox) zur Sicherheit in der Schwangerschaft.
Evidenzbeschreibung
Nifedipin und Labetalol/Metoprolol sind Alpha-Methyldopa in der Schwangerschaft überlegen bei der Verhinderung schwerer Hypertonien (RR 0,70; (95% KI 0,56; 0,88); n = 11 RCT, n = 638, Aussagesicherheit der Evidenz über alle Wirkstoffgruppen moderat) 29972.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Durch eine antihypertensive Therapie werden Episoden von schweren Hypertonien in der Schwangerschaft reduziert (RR 0,49 (95% KI 0,40; 0,60); n = 20 Studien, n = 2 558 Patient*innen; moderate Aussagesicherheit der Evidenz) 29972.
Die längste Erfahrung bezüglich einer Anwendung in der Schwangerschaft besteht bei Alpha-Methyldopa, allerdings kaum im 1. Timenon.
Die Datenlage zur Anwendung im 1. Trimenon ist bei den drei Arzneistoffen der Tabelle 21 sehr unterschiedlich und bei Metoprolol mit Abstand am höchsten/besten. Die publizierten Erfahrungen mit Metoprolol liegen bei weit mehr als 5 000 Schwangerschaften, mit Alpha-Methyldopa bei 300 bis 600 Schwangerschaften sowie einer langen Anwendungserfahrung bzw. Verfügbarkeit auf dem Arzneimittelmarkt. Mit Nifedipin bestehen Erfahrungen mit weniger als 150 nachverfolgten/publizierten Schwangerschaften im 1. Trimenon aus drei Studien.
Die publizierten Daten zur Antihypertensivaanwendung in der Schwangerschaft finden indirekt Anwendung zur Einschätzung der medikamentösen Therapie bei Kinderwunsch. Ergänzende Daten aus Beobachtungsstudien und Registerstudien helfen bei der individuellen Entscheidungsfindung in der Schwangerschaft (www.embryotox.de).
Weiterführende Informationen: Vorbestehende Therapie
Die Leitliniengruppe weist darauf hin, dass Therapieentscheidungen bei Kinderwunsch individuell getroffen werden und bestehende präkonzeptionelle Therapien bspw. mit einer 3-fach Kombination inklusive Hydrochlorothiazid nach der NVL Hypertonie (Empfehlung 7-1) bei schwerer Hypertonie unter engem Monitoring unter Abwägung der Vor- und Nachteile beibehalten werden können (siehe auch Empfehlung 7-2). Die Leitliniengruppe empfiehlt, niedrig dosiertes Hydrochlorothiazid bei eingestellten Patient*innen mit Kinderwunsch nicht unkritisch abzusetzen. Eine Anpassung der Therapie in der Schwangerschaft erfolgt ebenso individuell unter Beachtung der Kontraindikationen (www.embryotox.de).
Patientenmaterialien
- Patientenblatt "Was mache ich bei Kinderwunsch und möglicher Schwangerschaft?"
(siehe Patientenblätter)
Empfehlung |
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7-10 | k | neu 2023 Die vereinbarte antihypertensive Medikation soll trotz Kinderwunsch nicht ohne ärztliche Absprache abgesetzt oder herunterdosiert werden. |
Die Empfehlung beruht auf einem Expert*innenkonsens sowie indirekt auf den Wirksamkeitsnachweisen der empfohlenen Wirkstoffe zur antihypertensiven Therapie. Die Leitliniengruppe nimmt als Versorgungsproblem wahr, dass Patientinnen bei Kinderwunsch ihre Medikation eigenmächtig absetzen.
Für den optimalen Therapieerfolg ist die regelmäßige Einnahme der verordneten Medikamente in der vereinbarten Dosis grundlegend. Änderungen im Therapieregime bedürfen der ärztlichen Evaluation und Prüfung. Erfahrungsgemäß ist insbesondere die optimale präkonzeptionelle Blutdruckeinstellung von prognostischer Relevanz für den Schwangerschaftsverlauf. Das eigenmächtige Ändern oder Absetzen der antihypertensiven Medikation kann diese Einstellung negativ beeinflussen. Insbesondere unter dem Aspekt der Patientensicherheit spricht die Leitliniengruppe konsensbasiert eine starke Empfehlung aus.
Weiterführende Informationen: Risikoeinschätzung
Risikoeinschätzung der antihypertensiven Therapie in der Schwangerschaft
Zur Risikoeinschätzung der medikamentösen Therapie der Hypertonie in der Schwangerschaft wird auf das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin www.embryotox.de verwiesen. Hier werden neben Studiendaten auch Pharmakovigilanzdaten analysiert. Neben randomisierten kontrollierten Studien zur Wirksamkeit sind größere Beobachtungsstudien sowie Registerstudien besonders für schwangere Patient*innen von Relevanz für die Beurteilung der Sicherheit. Hinzuweisen ist insbesondere darauf, dass RAS Inhibitoren fetotoxisch sind und nach Rücksprache mit dem Arzt/der Ärztin spätestens bei Feststellung der Schwangerschaft umgestellt werden sollten (S2k-Leitlinie "Hypertensive Schwangerschaftserkrankungen", Register-Nr. 015-018, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-018.html, Embryotox, www.embryotox.de).
Patienteninformation
Ergänzend verweist die Leitliniengruppe auf ein Patienteninformationsblatt zur Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft (www.akdae.de/fileadmin/user_upload/akdae/AMTS/Aktionsplan/Aktionsplan-2021-2024/docs/M02-Patienteninformationen.pdf).
7.5 Hypertensive Entgleisung/hypertensiver Notfall
Bitte beachten Sie bei den medikamentösen Therapieoptionen die Hinweise unter 7.1 Hinweis zum Off-Label-Use.
Empfehlung |
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---|---|
7-11 | k | neu 2023 Bei einer "hypertensiven Entgleisung", d. h. RR > 180/110mmHg ohne akute Begleitsymptome sollte eine Kontrollmessung nach etwa 30 min Abwarten in einer Ruhesituation erfolgen. |
|
7-12 | k | neu 2023 Bei einer "hypertensiven Entgleisung", d. h. RR > 180/110mmHg ohne akute Begleitsymptome sollte eine moderate Blutdrucksenkung (Anpassung der oralen Medikation gemäß Algorithmus zur medikamentösen Therapie (Abbildung 5)) bei Persistenz nach 30 min Ruhe erfolgen. |
|
7-13 | k | neu 2023 Bei einer "hypertensiven Entgleisung", d. h. ohne Hinweis auf einen hypertensiven Notfall sollten kurzwirksame/sublinguale Medikamente vermieden werden. |
|
7-14 | k | neu 2023 Bei einem hypertensiven Notfall, d. h. akuter starker Blutdruckanstieg, oft mit RR > 180/110 mmHg und akuten Begleitsymptomen (z. B. Ruhedyspnoe, V. a. Schlaganfall, ACS, Aortendissektion, Lungenödem, rasch progrediente oder neu aufgetretene Nierenkrankheit, akute schwere Blutung o. ä.) soll eine umgehende Krankenhauseinweisung erfolgen (siehe auch Tabelle 22). |
Tabelle 22: Ausgewählte Notfallmedikamente
Wirkstoff |
Initial* |
Erhaltung* |
Kontraindikationen (beispielhaft) |
---|---|---|---|
auch ambulant eingesetzt |
|||
Glyceroltrinitrat (sublingual) |
0,5–1 mg/h
|
maximal 8–10 mg/h |
erhöhter intrakranieller Druck Phosphodiesterasehemmer-Anwendung |
Urapidil (intravenös) |
12,5 mg |
5–40 mg/h |
Aortenisthmusstenose, arteriovenöser Shunt besondere Vorsicht bei Herzinsuffizienz, die durch mechanische Funktionsbehinderung bedingt ist (Mitralstenose, Aortenklappenstenose), bei Lungenembolie und bei Perikarderkrankungen. |
Amlodipin (peroral) |
5–10 mg |
5–10 mg |
instabile Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt und schwere Leberfunktionsstörung |
Clonidin (oral, subkutan, intramuskulär oder intravenös) |
0,075 mg |
0,075 mg pro 12 Stunden |
instabile Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt, Sinusknotensyndrom, Bradykardie, AV-Block II. und III. Grades, fortgeschrittene arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) |
Furosemid (peroral, intravenös) |
z. B. 20–40 mg |
|
neben weiteren therapeutischen Maßnahmen Wirkdauer bei chronischer Nierenkrankheit bis zu 24 Stunden Dosierung/-intervall richten sich u. a. nach den Begleitumständen (z. B. Ödeme) |
eher stationär eingesetzt |
|||
Enalaprilat (intravenös) |
Initial 1,25 mg (über 5 Minuten) |
Dosiserhöhung bis auf 5 mg/6 Stunden |
Schwangerschaft Myokardinfarkt Bilaterale Nierenarterienstenose |
Esmolol (intravenös) |
Loading dose 500–1000 mcg/kg/min (über 1 Minute) |
50–300 mcg/kg/min |
bereits bestehende Betablockertherapie Bradykardie (dekompensierte) Herzinsuffizienz |
Nitroprussidnatrium (intravenös) |
0,3–0,5 mcg/kg/min |
Steigerung um 0,5 cg/kg/min |
cave: intraarterielle oder engmaschige Blutdruckmessung empfohlen |
*nach ACC/AHA Leitlinie 31799, u. a. abhängig von Indikation moderat oder schnell auf Zielblutdruck zu senken |
Die Leitliniengruppe einigt sich konsensbasiert und unter Berücksichtigung internationaler Diskussionen und Leitlinien auf die Definition der hypertensiven Entgleisung als Abgrenzung zum hypertensiven Notfall (Abbildung 6, siehe auch Kapitel 1.1 Definitionen) und zeigt Handlungsoptionen für beide Fälle auf (Empfehlungen 7-11 bis 7-14 sowie Tabelle 22). Dabei beruhen die Empfehlungen 7-11 bis 7-13 auf den Erfahrungen der Leitliniengruppe und beschreiben gute klinische Praxis. Aus der fehlenden Evidenz einerseits und der Dringlichkeit zu handeln andererseits ergibt sich der abgeschwächte Empfehlungsgrad. Die Empfehlung 7-14 beruht auf dem Prinzip der Schadensvermeidung. Der starke Empfehlungsgrad leitet sich insbesondere aus der Handlungsdringlichkeit ab. Aus einem Notfall ergibt sich nach Einschätzung der Leitliniengruppe dringlicher stationärer Handlungsbedarf, während eine Entgleisung zwar ein ernstzunehmendes und therapiebedürftiges, aber kein notfallmäßiges Ereignis darstellt.
Ziel ist, den rechtzeitigen Übergang in die stationäre Versorgung für den Notfall zu gewährleisten und den Handlungsbedarf bei einer Entgleisung davon abzugrenzen. Die in der Tabelle empfohlenen Wirkstoffe beruhen auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe. Unterstützend wurden eine systematischen Übersichtsarbeit 29979 sowie die Begründungen internationaler Leitlinien 29779, 31799 herangezogen. Eine direkte Übertragung der Ergebnisse aus der systematischen Übersichtsarbeit ist auf Grund von Limitationen fraglich – beispielweise wegen unterschiedlicher klinischer Settings, zudem ist die Aussagekraft durch fehlende Präzision und geringe Beobachtungsdauer eingeschränkt 29979. Die in der Tabelle aufgeführten Medikamente können im Fall eines Notfalls dazu dienen, die Zeit bis zum Eintreffen des Notarztteams zu überbrücken.
Evidenzbasis
Die Definition, die Empfehlungen sowie die medikamentösen Handlungsoptionen stellen einen Expert*innenkonsens dar und beruhen auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe. Unterstützend wurden die Vorüberlegungen bzw. Einschlusskriterien aus einer systematischen Übersichtsarbeit 29979 sowie die Begründungen internationaler Leitlinien 29779, 31799 herangezogen.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Für die Blutdruckmessung verweist die Leitliniengruppe auf Tabelle 4, wobei eine Bestätigungsmessung sinnvoll erscheint; bei einer hypertensiven Entgleisung ggf. auch in der Dreifachmessung. Beim hypertensiven Notfall können möglicherweise auch geringere Blutdruckwerte als die in der Abbildung benannten einen Handlungsbedarf bedingen, beispielsweise bei Verdacht auf Präeklampsie. Auch weitere potenzielle Endorganschäden können von Relevanz sein, insbesondere ein Aortenaneurysma sowie eine Retinopathie. Der Algorithmus dient als praktische Orientierungshilfe für die Versorgung.
Handlungsoptionen bei hypertensiver Entgleisung beschreibt die Leitliniengruppe in den Empfehlungen 7-11 bis 7-14, wobei bei der Beurteilung der Handlungsdringlichkeit und des weiteren Vorgehens die individuelle Situation der Betroffenen zu berücksichtigen ist (u. a. Angstsymptomatik, Schmerzen). Prinzipiell gilt auch bei einer hypertensiven Entgleisung der Algorithmus zur medikamentösen Therapie (Abbildung 5). Dosierungen und Dosierintervalle sowie die Dauer der medikamentösen Therapie richten sich dabei nach dem Bedarf der Betroffenen, der Vortherapie, dem Ansprechen auf die Wirkstoffe sowie möglichen Begleitumständen. Eine Überprüfung und ggf. Anpassung der Dauertherapie nach der Akutsituation erscheint sinnvoll. Erscheint eine akute, moderate Blutdrucksenkung sinnvoll, so stellt die Gabe von schnellwirksamem Glyceroltrinitrat zusammen mit dem stark verzögert wirkenden Amlodipin nach Erfahrung der Leitliniengruppe eine praktikable Behandlungsmöglichkeit dar.
Ein hypertensiver Notfall benötigt eine schnellstmögliche, aber schonende blutdrucksenkende Behandlung, um akute Endorganschäden zu vermeiden bzw. eine Verschlechterung zu verhindern (z. B. an Herz, Gehirn, Nieren). Zumeist wird eine intravenöse antihypertensive Behandlung neben weiteren notfall- bzw. intensivmedizinischen Maßnahmen notwendig; ebenso eine intensive Beobachtung bzw. ein Monitoring.
Die in Tabelle 22 aufgeführten Wirkstoffe werden als medikamentöse Therapieoptionen durch die Leitliniengruppe benannt. Sie richten sich nach den aktuell im deutschen Versorgungskontext verfügbaren Wirkstoffen und stellen Erfahrungswerte dar. Die in der Recherche identifizierte Evidenz ist wegen der unten genannten Limitationen nach Einschätzung der Leitliniengruppe nur bedingt nutzbar.
Eine systematische Übersichtsarbeit untersuchte zur schnellen Blutdrucksenkung Nitroprussid sowie weitere antihypertensive Wirkstoffklassen zum Einsatz in einer hypertensiven Notfallsituation (Nitrate (n = 9 Studien), ACE-Hemmer (n = 7 Studien), Kalziumkanalblocker (n = 6 Studien), Alpharezeptorblocker (n = 4 Studien), Diuretika (n = 3 Studien), direkte Vasodilatatoren (Diazoxid, Hydralazin, (n = 2 Studien), Dopaminrezeptoragonisten (n = 1 Studie), Betablocker (n = 0 Studien)) 29979. Die Notfallsituation bedingt Limitationen für klinische Studien, weshalb die Ergebnisse der systematischen Übersichtsarbeit unter Berücksichtigung z. B. der kleinen Studiengröße (größte Studie mit n = 133 Patient*innen) bzw. der Beobachtungsdauer (längste Studiendauer zehn Tage) vorsichtig zu interpretieren sind.
Patientenmaterialien
- Patientenblatt "Was tun, wenn der Blutdruck plötzlich viel zu hoch ist?"
(siehe Patientenblätter)
7.6 Potenziell relevante Arzneimittelwechselwirkungen im Bereich Bluthochdruck
Empfehlung |
|
---|---|
7-15 | k | neu 2023 Bei Polymedikation sollte eine Medikationsanalyse durchgeführt und in die Therapieplanung einbezogen werden, gegebenfalls interprofessionell. |
Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung zur Medikationsanalyse aus. Prinzipiell erachtet die Leitliniengruppe eine Medikationsanalyse bei Polymedikation als wichtiges Instrument zur Stärkung der Arzneimitteltherapiesicherheit und zur Vermeidung von schädlichen Wechselwirkungen sowie zur Steigerung der Effektivität der Arzneimitteltherapie. Der Empfehlungsgrad begründet sich u. a. darin, dass eine interprofessionelle Medikationsanalyse unter Einbeziehung der pharmazeutischen Expertise zwar hilfreich, aber nicht immer umsetzbar erscheint.
Evidenzbasis
Die Empfehlung stellt einen Expert*innenkonsens dar und beschreibt gute klinische Praxis. Auf eine systematische Recherche wurde verzichtet, weil sie nicht auf Wirksamkeitsannahmen beruht, sondern ihr übergeordnete Sicherheitsüberlegungen zugrunde liegen. Die zitierte Literatur entstammt einem strukturierten Prozess und wurde durch Mitglieder der Leitliniengruppe eingebracht.
Erwägungen, die die Empfehlung begründen
Eine Medikationsanalyse, bspw. die pharmazeutische Dienstleistung Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation, beinhaltet neben der Arzneimittelerfassung eine pharmazeutische Arzneimitteltherapiesicherheits-Prüfung auf arzneimittelbezogene Probleme (ABP). Diese werden bewertet und soweit wie möglich gelöst (ggf. mit Rücksprache mit den behandelnden Ärzt*innen).
Ein ABP sind dabei Interaktionen. Es gibt unterschiedliche Interaktionen bei Polymedikation, die aber nicht immer von Relevanz für die jeweils Betroffenen sind. Interaktionen werden unter anderem als Gründe für Krankenhauseinweisungen angeführt, die vermeidbar sind.
Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arzneistoffen können pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Natur sein. Bei der Metabolisierung sind Interaktionen meistens durch Cytochrom P450 (CYP), P-Glykoprotein (P-gp, Efflux Transporter) oder Organo-Anion-Transporter (OATP, Influx-Transporter) vermittelt. Wechselwirkungen äußern sich z. B. in einer Verlängerung der QTc-Zeit, einer Änderung des Kaliumspiegels oder in einer synergistischen Senkung des glomerulären Perfusionsdrucks.
Bei den CYP und OATP Interaktionen sind die interindividuellen Unterschiede groß, so dass eine Genotypisierung prinzipiell sinnvoll scheint 31368, 31369, 31370. Übersichtsarbeiten von Oliveira-Paula et al. 2019 und Rysz et al. 2020 beschäftigen sich mit der vorhandenen Evidenz zur Pharmakogenomik bei Hypertonie sowohl bei der Metabolisierung, als auch beim pharmakodynamischen Effekt und somit dem zu erwartenden Ansprechen auf die Therapie 31372, 31371. Ein polygenetischer Hintergrund und eine inkonsistente Studienlage unterstützen eine Translation der Ergebnisse zu einer personalisierten medikamentösen Blutdrucktherapie gegenwärtig allerdings noch nicht.
Interaktionen sind gut erforscht und bei Polymedikation häufig, aber nicht immer relevant. Die Bedeutung der Interaktionen steigt spätestens dann, wenn mehr als zwei Wirkstoffe auf einen Parameter oder auf ein Organ einwirken 31374. Dies können auch Wirkstoffe der Selbstmedikation sein (z. B. Nichtsteroidale Antirheumatika bzw. Antiphlogistika – NSAR).
Dieses Unterkapitel fokussiert auf häufigen Wechselwirkungen im Bereich der Medikation mit Antihypertensiva, wobei diese beispielhaft benannt sind (Tabelle 23). Eine vollumfängliche Nennung im Kapitel erscheint nicht sinnvoll/möglich und hängt von weiteren Faktoren ab (z. B. Komorbidität und damit unterschiedlicher Ko-Medikation). Zudem wird die entsprechende Fachexpertise zur Einschätzung der Relevanz sowie der patient*innenindividuellen Faktoren als wichtig erachtet.
Ein interprofessioneller Austausch im Rahmen einer Medikationsanalyse durch Ärzt*innen und Apotheker*innen sowie die Einbindung weiterer Gesundheitsberufe kann dabei hilfreich sein, wird aber nicht immer notwendig (s. a. Kapitel 5 Partizipative Entscheidungsfindung und Therapieplanung; Hausärztliche Leitlinie: Multimedikation – Registernummer 053-043 (www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-043.html); Aktionsplan zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland (AMTS) (www.akdae.de/AMTS/Aktionsplan/Aktionsplan-2021-2024/index.html)). Weitere Beweggründe für eine Medikationsanalyse werden auch durch Fragestellungen im Kapitel 5.4 Adhärenz sichtbar (vgl. auch Empfehlung 9-4).
Weiterführende Informationen: Pharmazeutische Dienstleistungen
Arbeitshilfen und Informationen zur pharmazeutischen Dienstleistung Erweiterte Medikationsberatung bei Polymedikation stellt der Deutsche Apothekerverband e. V. bereit: www.abda.de/pharmazeutische-dienstleistungen/erweiterte-medikationsberatung-bei-polymedikation.
Tabelle 23: Auswahl potenziell relevanter Arzneimittelwechselwirkungen mit Antihypertonika
Tabelle 23: Auswahl potenziell relevanter Arzneimittelwechselwirkungen mit Antihypertonika
Blutdrucksenker |
Interagierendes Substrat |
Interaktion |
Maßnahme |
Literatur |
---|---|---|---|---|
Interaktionen, die sich auf den Kaliumspiegel auswirken |
||||
ACE-Hemmer, Sartane |
Diuretika, Aldosteron-Antagonisten, Renininhibitoren |
Kaliumspiegel |
Monitoring des Kaliumspiegels |
Eschmann et al. 31381 |
Interaktionen, die sich auf die Nierenfunktion auswirken |
||||
ACE-Hemmer, Sartane |
Diuretika |
verminderter renaler Perfusionsdruck |
Monitoring der glomerulären Filtrationsrate |
Loboz et al. 31382 |
Aliskiren |
ACE-Hemmer, Sartane |
verminderter renaler Perfusionsdruck |
Kombination kontraindiziert |
Parving et al. 31383 |
Pharmakologische Interaktion |
||||
Clonidin |
Betablocker |
Blockade kompensatorischer Mechanismen |
Bei Absetzen von Clonidin zuvor Betablocker ausschleichen |
Carpenter et al. 31378 |
Nitrate |
Phosphodiesterase-5 Hemmer |
Synergistische Vasodilatation |
Kombination kontraindiziert |
Webb et al. 31380 |
Interaktionen durch veränderte Metabolisierung |
||||
Amlodipin |
Simvastatin |
CYP 3A4 |
Simvastatin max. 20 mg/d oder Wechsel auf Rosuvastatin mit Dosierung nach LDL-C Ziel |
Carpenter et al. 31378 |
Diltiazem |
Simvastatin |
CYP 3A4 |
Simvastatin max. 10 mg/d Diltiazem max. 240 mg/d oder Wechsel auf Rosuvastatin mit Dosierung nach LDL-C Ziel |
Carpenter et al. 31378 |
Diltiazem |
Atorvastatin |
CYP 3A4 |
Monitoring Myotoxizität oder Wechsel auf Rosuvastatin mit Dosierung nach LDL-C Ziel |
Carpenter et al. 31378 |
Diltiazem |
Colchicin |
CYP 3A4 |
Erhöhte Colchicin-Toxizität |
Fravel et al. 31379 |
Verapamil |
Simvastatin |
CYP 3A4 |
Simvastatin max. 10 mg/d oder Wechsel auf Rosuvastatin mit Dosierung nach LDL-C Ziel |
Carpenter et al. 31378 |
Verapamil |
Atorvastatin |
CYP 3A4 |
Monitoring der Myotoxizität oder Wechsel auf Rosuvastatin mit Dosierung nach LDL-C Ziel |
Carpenter et al. 31378 |
Verapamil |
Digoxin |
P-gp |
Erhöhte Digoxin-Toxizität |
Fravel et al. 31379 |
Verapamil |
Dabigatran, Rivaroxaban |
CYP 3A4 |
Erhöhtes Blutungsrisiko |
Fravel et al. 31379 |
Verapamil |
Colchicin |
CYP 3A4 |
Erhöhte Colchicin-Toxizität |
Fravel et al. 31379 |
Carvedilol |
Digoxin |
P-gp |
Erhöhte Digoxin-Toxizität |
Fravel et al. 31379 |
Die Tabelle wurde konsensbasiert erarbeitet und beruht auf klinischer und pharmazeutischer Expertise. |
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Flyer: Was ist wichtig?
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Foliensatz
Für Präsentationen zu den NVL bei Kongressen.
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Algorithmen
Mit aktiven Verweisen direkt in die Leitlinie.
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Langfassung
NVL Hypertonie, Version 1.0, 2023
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Kurzfassung
NVL Hypertonie, Version 1.0, 2023
Das Archiv enthält abgelaufene, zurückgezogene Dokumente zur Nationalen Versorgungsleitlinie Hypertonie.
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Konsultationsfassung – Version 1.0
Konsultationsphase seit dem 12. Januar 2023 beendet
-
Leitlinienreport zur Konsultationsfassung – Version 1.0
Konsultationsphase seit dem 12. Januar 2023 beendet
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Evidenzbeschreibung zur Konsultationsfassung – Version 1.0
Konsultationsphase seit dem 12. Januar 2023 beendet
-
Interessenkonflikte zur Konsultationsfassung – Version 1.0
Konsultationsphase seit dem 12. Januar 2023 beendet
-
Patientenblätter zur Konsultationsfassung – Version 1.0
Konsultationsphase seit dem 12. Januar 2023 beendet
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Patientenleitlinie, Version 1, Konsultation
Konsultationsphase seit dem 12. Januar 2024 beendet
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