NVL Asthma, 4. Auflage

1 Definition und Epidemiologie

1.1  Definition

Die Inhalte dieses Kapitels basieren auf einer Adaptation der Aussagen nationaler und internationaler Leitlinien 26435, 26482, 26481, 27665.

Asthma ist eine heterogene Erkrankung, die durch eine chronische Entzündung der Atemwege charakterisiert ist 26435. Sie ist gekennzeichnet durch das Auftreten zeitlich und in ihrer Intensität variierender Symptome, wie Atemnot, Giemen, Brustenge und Husten, sowie durch eine bronchiale Hyperreagibilität 26435.

Bei der Entstehung des Asthmas ist von einer multifaktoriellen Genese auszugehen. Eine genetische Disposition und exogene Faktoren, die durch psychosoziale Faktoren verstärkt werden, können zur Entstehung eines Asthmas führen 26482. Ausgehend von einer Entzündungsreaktion der Atemwege kann eine bronchiale Hyperreagibilität bis hin zu einer bronchialen Obstruktion auftreten 26482.

Die Einteilung der Asthmaformen in Phänotypen folgt der Annahme, dass die Erkrankung bestimmter Patientengruppen sowohl durch eine ähnliche Pathophysiologie als auch durch ähnliche klinische Merkmale gekennzeichnet ist 26435:

  • Allergisches Asthma ist häufig mit dem Auftreten anderer allergischer Erkrankungen und/oder mit Erkrankungen des atopischen Formenkreises vergesellschaftet. Im Sputum zeigen sich häufig Zeichen einer eosinophilen Entzündung. 26435 Saisonale Verlaufsformen werden von perennialen abgegrenzt.
  • Nicht-allergisches Asthma kann durch Infektionen der Atemwege ausgelöst werden. Zudem kann eine Intoleranz gegen Acetylsalicylsäure (ASS) oder nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) bestehen. Es ist unter Umständen möglich, dass eigentlich ein allergisches Asthma vorliegt, aber das Allergen nicht identifiziert wurde.

In den letzten Jahren wurde diese klassische Einteilung (allergisches/nicht-allergisches Asthma) um weitere Phänotypen ergänzt. Diese weitergehende Differenzierung ist sinnvoll, wenn sich die Krankheitsverläufe der Patienten unterscheiden und sich konkrete Konsequenzen für die Auswahl der Therapie ergeben. Erste Erkenntnisse zu eosinophilem Asthma, Type-2-High-Asthma oder cough-variant-Asthma sind in der S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma (www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/020-009.html27665 zusammengefasst.

Exazerbationen sind nach der S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Patienten mit Asthma 27665 definiert als Phasen einer progredienten Zunahme der Asthmasymptome und/oder Abnahme der Lungenfunktion […], welche über das für den Patienten übliche Maß an Variabilität hinausgehen und welche einer Änderung bzw. Intensivierung der Therapie über mehrere Tage bedürfen. Der Begriff Exazerbation schließt den Begriff "Asthmaanfall" ein. Die Beschwerden im Rahmen von Exazerbationen können nur gering ausgeprägt oder auch schwergradig sein und ohne adäquate Behandlung bis zum Tode führen. 27665

1.2  Schweres Asthma

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

1-1 | Erwachsene

Bei Erwachsenen liegt ein schweres Asthma vor, wenn unter Therapie mit inhalativen Corticosteroiden (ICS) in Höchstdosis (siehe Tabelle 6) und mindestens einem zusätzlichen Langzeitmedikament (Langwirkendes Beta-2-Sympathomimetikum oder Montelukast) oder oralen Corticosteroiden (OCS) > 6 Monate/Jahr mindestens einer der folgenden Punkte zutrifft bzw. bei Reduktion der Therapie zutreffen würde:

  • Atemwegsobstruktion: FEV1 < 80% des Sollwertes (FEV1/FVC < LLN);
  • häufige Exazerbationen: ≥ 2 corticoidsteroidpflichtige Exazerbationen in den letzten 12 Monaten;
  • schwere Exazerbationen: ≥ 1 Exazerbation mit stationärer Behandlung oder Beatmung in den letzten 12 Monaten;
  • teilweise kontrolliertes oder unkontrolliertes Asthma (siehe Abbildung 2).

Statement

Die Autoren formulieren die Definition des schweren Asthmas bei Erwachsenen in Anlehnung an die internationale Leitlinie "International ERS/ATS guidelines on definition, evaluation and treatment of severe asthma" 26481. Dabei gilt für die ICS-Dosierung die Definition der ERS/ATS-Leitlinie, wie in der ICS-Vergleichstabelle in der Spalte "Höchstdosis" abgebildet. Dadurch wird sichergestellt, dass nur Patienten, bei denen die ICS-Therapie ausgeschöpft wurde, die Definition des schweren Asthmas erfüllen können.

Besonderheiten des Kindes- und Jugendalters

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

1-2 | Kinder und Jugendliche

Bei Kindern und Jugendlichen liegt ein schweres Asthma vor, wenn bei sachgerechter und adäquat durchgeführter Therapie mit dem Ziel einer guten Asthmakontrolle dauerhaft (> 6 Monate) eine Add-on-Therapie mit einem langwirkenden Anticholinergikum (LAMA) oder einem monoklonalen Antikörper erfolgen und/oder eine hohe ICS-Tagesdosis verabreicht werden muss.

Statement

Bei diesem Statement handelt es sich um einen Expertenkonsens. Die Vertreter der pädiatrischen Fachgesellschaften formulieren die Definition auf Basis ihrer klinischen Erfahrung.

1.3  Epidemiologie

Eine gezielte Recherche epidemiologischer Daten im deutschen Versorgungskontext erbrachte folgende Ergebnisse:

Die Querschnittstudie "Gesundheit in Deutschland aktuell" 2014/2015-EHIS (GEDA 2014/2015-EHIS) basiert auf Selbstangaben von 24 016 Befragten einer erwachsenen deutschsprachigen Stichprobe und errechnet eine 12-Monatsprävalenz des Asthmas von 6,2% (95% KI 5,8 %; 6,7%) 30219. Frauen waren häufiger betroffen als Männer (7,1% vs. 5,4%) 30219. Die erste Erhebung der "Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland 2008-2011" (DEGS1) basiert auf Befragungen, Untersuchungen und Tests 26479. In einem computergestützten ärztlichen Interview gaben 5% der Teilnehmer an, ein ärztlich diagnostiziertes Asthma zu haben. Betroffen waren auch hier mehr Frauen als Männer (6,3% vs. 3,7%) 26479.

Bei Kindern und Jugendlichen wurde eine 12-Monats-Prävalenz von 4,0% (95% KI 3,5; 4,5) in der "Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland" (KiGGS Welle 2) errechnet 28037. Im Gegensatz zu Erwachsenen waren Jungen häufiger betroffen als Mädchen (5,0% vs. 3,0%) 28037.

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland berechnete anhand der bundesweiten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten (Jahr 2016: n = 70 416 019) eine Diagnoseprävalenz der Asthmas von 5,9% (96% KI 5,8%; 5,9%) bei Erwachsenen und 5,1% (95% KI 5,1%; 5,2%) bei Kindern und Jugendlichen 30220.

Darüber hinaus liegen Auswertungen der ersten Hälfte der Basiserhebung der Gesundheitsstudie "Nationale Korhorte" von März 2014 bis März 2017 aus 18 Studienzentren und 101 284 Teilnehmern vor 30234. Die Datenbasis bilden Antworten Erwachsener in einem persönlichen Interview. Hier gaben 4,7% (95% KI 4,5%, 4,8 %) der Frauen (n = 2 561) und 3,3% (95% KI 3,1%, 3,5 %) der Männer (n = 1 546) an, in den letzten 12 Monaten aufgrund der Diagnose Asthma ärztlich behandelt worden zu sein 30234.

Einteilung der Altersgruppen in der NVL Asthma

In der vorliegenden NVL werden häufig altersgruppenspezifische Empfehlungen ausgesprochen. Diese sind jeweils in der Überschrift im Empfehlungskasten gekennzeichnet. Ergänzend finden sich Erläuterungen im Hintergrundtext, die durch Zwischenüberschriften abgegrenzt sind.

NVL Asthma, 4. Auflage, 2020. Version 1

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zuletzt verändert: 27.05.2021 | 11:39 Uhr