NVL COPD (2021)

7 Versorgungskoordination

7.1 Ambulante Versorgungskoordination

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-1

Patient*innen mit COPD soll die Teilnahme am DMP COPD empfohlen werden.

Starke Empfehlung

7-2

Die Langzeitbetreuung der Patient*innen und deren Dokumentation sollte in der Regel durch den Hausarzt oder die Hausärztin erfolgen.

Abgeschwächte Empfehlung

7-3

Die Dokumentation der Behandlung soll für die Patient*innen und alle an der Behandlung Beteiligten zugänglich sein.

Starke Empfehlung

7-4

Wenn medizinische Gründe es erfordern, soll in die Langzeitbetreuung der Patient*innen und deren Dokumentation ein Pneumologe oder eine Pneumologin eingebunden werden. Die Gründe sind:

  • eine dauerhaft hohe Instabilität trotz intensivierter Therapie;
  • ein schwerer Krankheitsverlauf.

Starke Empfehlung

7-5

Befinden sich Patient*innen in kontinuierlicher Betreuung des Pneumologen oder der Pneumologin, sollte diese/r bei einer Stabilisierung des Zustandes prüfen, ob eine Weiterbehandlung durch den Hausarzt oder die Hausärztin möglich ist.

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe schätzt die Evidenzqualität für die Wirksamkeit von DMP als hoch ein. Die Betreuung von Patient*innen mit COPD erfordert eine sektor- und einrichtungsübergreifende Zusammenarbeit. Die Versorgungsintensität hängt dabei unter anderem vom Lebensalter, dem zeitlichen Verlauf der Erkrankung, dem Schulungs- und Rehabilitationsbedarf sowie der Schwere der Symptomatik und stattgehabter Exazerbationen ab. Um die Koordination und Kommunikation zwischen den Versorgungsebenen bestmöglich zu gewährleisten, spricht sie für die Langzeitbetreuung und Dokumentation im Rahmen eines strukturierten Behandlungsprogrammes eine starke Empfehlung aus.

Für weitere Aspekte der Versorgungskoordination konnte in der strukturierten Recherche keine aggregierte Evidenz identifiziert werden. Bei der Langzeitbetreuung, der Koordination und der Dokumentation der veranlassten und durchgeführten Maßnahmen spielen insbesondere Hausärzt*innen eine tragende Rolle – es besteht aber auch die Möglichkeit, dass aufgrund fehlender Versorgungsstrukturen Pneumolog*innen die koordinierenden Ärzt*innen sein können. Da nach Einschätzung der Leitliniengruppe eine kontinuierliche Dokumentation nur sinnvoll ist, wenn sie sowohl für Patient*innen als auch für alle an der Behandlung Beteiligten zur Verfügung steht, wird eine starke Empfehlung basierend auf einem Expert*innenkonsens formuliert. In diesem Zusammenhang ist auch auf eine adäquate Dokumentation der Behandlung im Rahmen von Hausbesuchen zu achten, welche evtl. aufgrund einer schlechteren gesundheitlichen Verfassung der Patient*innen notwendig wurden.

Wenn relevante medizinische Gründe es erfordern, wird eine Überweisung vom betreuenden Hausarzt oder von der betreuenden Hausärztin zu einem Pneumologen oder einer Pneumologin empfohlen, damit dieser oder diese die Langzeitbehandlung im Rahmen eines strukturierten Behandlungsprogrammes, ggf. für einen begrenzten Zeitraum, weiterführt. Zu bedenken ist jedoch, dass in Regionen mit schwächeren Versorgungsstrukturen eine Weiterbehandlung der Patient*innen durch andere Fachärzt*innen bzw. andere Hausärzt*innen nur entsprechend der Verfügbarkeit möglich ist.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlungen basieren auf den Ergebnissen einer strukturierten Recherche (Empfehlung 7-1) sowie den klinischen und praktischen Erfahrungen der Leitliniengruppe und beschreiben gute klinische Praxis (Empfehlungen 7-2 bis 7-5).

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der strukturierten Recherche wurde ein Cochrane-Review identifiziert, der die Effektivität von Disease-Management-Programmen bei Patient*innen mit COPD evaluiert 26995. Es zeigte sich unter anderem, dass durch die Nutzung integrierter DMP sowohl eine Verbesserung der krankheitsbezogenen Lebensqualität (SGRQ gesamt:
MD -3,71 (95% KI -5,83; -1,59); I² = 56%, 13 RCTs, n = 1 425, Evidenzqualität hoch), als auch der funktionalen Leistungsfähigkeit nach 12 Monaten (MD 43,86 m (95% KI 21,83; 65,89); I² = 83%, 14 RCTs, n = 838, Evidenzqualität moderat) erreicht werden konnte. Außerdem konnte sowohl eine Reduktion der atemwegsbezogenen Krankenhauseinweisungen (20/100 vs. 27/100; OR 0,68 (95% KI 0,47; 0,99); NNT = 15, I² = 35%, 7 RCTs, n = 1 470, Evidenzqualität hoch) als auch der Krankenhaustage pro Patient*in (MD -3,78 Tage (95% KI -5,90; -1,67); I² = 55%, 6 RCTs, n = 641, Evidenzqualität hoch) dargestellt werden. Zu beachten ist jedoch, dass viele der hier eingeschlossenen Studien nicht im deutschen Versorgungskontext durchgeführt wurden und daher die Übertragung auf das hiesige Versorgungssystem nicht explizit gegeben ist.

7.2 Ambulante Überweisungsindikatoren

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-6

Die Indikation für die Überweisung zu einer Pneumologin oder einem Pneumologen soll entsprechend Tabelle 18 geprüft werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Ziel der Überweisung ist es nicht primär, die Langzeitbehandlung zu übergeben, sondern den bisherigen Krankheitsverlauf zu beurteilen und die Behandlung gegebenenfalls anpassen zu lassen. Tabelle 18 listet basierend auf der klinischen Einschätzung und praktischen Erfahrung der Leitliniengruppe solche Situationen auf, in denen die pneumologische Fachexpertise wichtig für die weitere Therapieplanung und das Patientenwohl ist. Daher spricht die Leitliniengruppe konsensbasiert eine starke Empfehlung aus.

 Tabelle Tabelle 18: Mögliche Situationen für die Überweisung zu einem/r Pneumolog*in

Tabelle 18: Mögliche Situationen für die Überweisung zu einem/r Pneumolog*in

Mögliche Situationen

  • zur Abklärung bei Unsicherheiten in der Diagnose COPD, insbesondere zur differentialdiagnostischen Abgrenzung zum Asthma bronchiale
  • unzureichender Therapieerfolg trotz intensivierter Behandlung
  • vor Initiierung einer Triple-Therapie (LAMA/LABA/ICS) und/oder einer Therapie mit Roflumilast als Add on
  • nicht erklärbare Verschlechterung der Lungenfunktion mit zunehmendem Krankheitswert für den/die Patient*in bzw. Fehlen einer Therapievorstellung, dies rückgängig machen zu können
  • vorausgegangene Notfallbehandlung mit bedrohlichem Krankheitszustand
  • Neuauftreten von Begleiterkrankungen, die sich aus der Schwere der Grunderkrankung oder aus der COPD-Behandlung ergeben könnten
  • Neuauftreten einer respiratorischen Insuffizienz bzw. Verschlechterung dieser um etwa 15-25% vom Ausgangswert
  • Verdacht auf eine berufsbedingte COPD
  • Patient*innen, die weiterhin rauchen – zumindest einmal im Krankheitsfall
  • Patient*innen, die eine systemische Corticosteroid-Therapie erhalten
  • Prüfung der Indikation und Verlaufskontrolle einer Langzeit-Sauerstofftherapie oder einer nicht-invasiven Beatmung
  • Prüfung der Indikation und Verlaufskontrolle einer Volumenreduktion
  • Wunsch der Patient*innen
 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

In der strukturierten Recherche wurden keine systematischen Übersichtsarbeiten identifiziert, die die Kriterien für eine Überweisung von Patient*innen mit COPD zu einem/r Pneumolog*in definieren. Die Empfehlung und die Kriterien beruhen daher auf einem Expert*innenkonsens und beschreiben gute klinische Praxis.

Überweisungskriterien bei Komorbiditäten

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-7

Besteht der Verdacht auf Begleiterkrankungen, die die Symptomkontrolle negativ beeinflussen, sollte die Indikation zur Überweisung zu einem spezialisierten Fachgebiet geprüft werden (siehe Tabelle 19).

Abgeschwächte Empfehlung

RationaleRationale

Wird der Verlauf der COPD durch Komorbiditäten negativ beeinflusst, kann ein zielgerichtetes Therapieangebot die Situation der Patient*innen verbessern. Um zu prüfen, welches Vorgehen im individuellen Fall sinnvoll sein kann, bedarf es dann in vielen Fällen anderer Fachexpertise. Daher erachtet die Leitliniengruppe die Überweisung prinzipiell als wichtig. Andererseits sind Konstellationen individuell unterschiedlich und je nach Vorgeschichte und Gesamtsituation der Patient*innen anders zu beurteilen. Deshalb listet die Tabelle beispielhaft Situationen auf, in denen eine Überweisung in der Regel sinnvoll erscheint, im Einzelfall aber auch Gründe (z. B. Verfügbarkeit im ländlichen Raum, Selbstständigkeit, bzw. Betreuungssituation) dagegen sprechen können. Aus diesen Erwägungen spricht die Leitliniengruppe konsensbasiert eine abgeschwächte Empfehlung aus.

 Tabelle Tabelle 19: Mögliche Konstellationen, bei denen eine Abstimmung oder Überweisung erfolgen sollte

Tabelle 19: Mögliche Konstellationen, bei denen eine Abstimmung oder Überweisung erfolgen sollte

Fachgebiet

Konstellationen für Abstimmung oder Überweisung

Kardiologie

  • (dekompensierte) Herzinsuffizienz
  • Herzrhythmusstörungen
  • Abklärung von Brustschmerzen
  • die Schwere der Dyspnoe ist nicht allein durch die Schwere der COPD erklärbar

Diabetologie

  • Schwierigkeiten bei der Stoffwechseleinstellung/Antidiabetischen Differentialtherapie
  • wenn individuell vereinbarte Therapieziele nicht erreicht werden

Psychosomatik/
Psychiatrie/
Psychotherapie

  • Verdacht auf und bei Persistenz psychischer bzw. psychosomatischer Störungen (insbesondere Depression, Anpassungs-, Angst-, somatoforme Störung, posttraumatische Belastungsstörung)
  • ätiologisch relevante Suchterkrankung
  • zunehmende kognitive Beeinträchtigung

Nephrologie

  • stark eingeschränkte/sich deutlich verschlechternde Nierenfunktion
  • neu aufgetretene Proteinurie

Geriatrie

  • wenn zur Aufrechterhaltung von Teilhabe und Autonomie umfassende Diagnostik und Therapie im stationären Kontext notwendig werden
  • wenn aus Multimorbidität und Polypharmazie komplexe Fragestellungen resultieren

Hals-Nasen-Ohrenheilkunde

  • chronische Sinusitis als beobachteter Exazerbationstrigger
  • Tracheostoma und Z. n. Laryngektomie als relevante Besonderheiten

Spezialisierte Palliativversorgung

  • bei erhöhter Betreuungsintensität, z. B. bei
    • krisenträchtigen Krankheitsverläufen (z. B. häufige Exazerbationen und Hospitalisierungen)
    • unkontrollierten physischen Symptomen (z. B. Atemnot, progrediente Schwäche)
    • einer hohen Komplexität des (pflegerischen) Versorgungsbedarfs
    • einem hohen Maß an psychosozialen Belastungen (zum Beispiel im häuslichen Umfeld)

Weitere

  • Abstimmung von Dauermedikation (z. B. Analgetika, Antirheumatica, Immunsupressiva: Abstimmung mit/Überweisung an Rheumatologie, Orthopädie …)
  • bei klinischen Hinweisen auf therapiebedürftige schlafbezogene Atmungsstörungen (Abstimmung mit/Überweisung an Pneumologie, HNO, Schlafmedizin)
 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung und die zugehörige Tabelle stellen einen Expert*innenkonsens dar und beruhen auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

 Hinweis Hinweis: Versorgung häufiger Komorbiditäten

In der Tabelle sind Konstellationen aufgeführt, die aufgrund psychosozialer Charakteristika und häufiger Begleiterkrankungen besonders typisch und/oder prognostisch relevant für die Versorgung von Patient*innen mit COPD sind. Detaillierte Informationen zum interdisziplinären Versorgungsmanagement von Patient*innen mit den genannten Komorbiditäten finden sich in den Nationalen VersorgungsLeitlinien Asthma (www.leitlinien.de/asthma), Herzinsuffizienz (www.leitlinien.de/herzinsuffizienz), KHK (www.leitlinien.de/khk), Typ-2-Diabetes (www.leitlinien.de/diabetes) sowie Unipolare Depression (www.leitlinien.de/depression).

Für die Einschätzung, ob bei Patient*innen mit COPD möglicherweise eine Angststörung und/oder eine Depression vorliegt, wurde die Nutzung des PHQ-4 vorgeschlagen (siehe Kapitel 2.5.2 Angst und Depression). Der kritische Wert für einen klinisch bedeutsamen Fall wäre mit ≥ 3 erreicht.

7.3 Einbindung anderer Gesundheitsberufe

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-8

Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe, die an der Betreuung von Patient*innen mit COPD beteiligt sind, sollen aktiv auch in die Versorgungsplanung eingebunden werden.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe schätzt die identifizierte Evidenz als hilfreich, aber nicht ausreichend ein, um die Frage nach der Einbeziehung von Pflege und anderen Gesundheitsberufen in der Langzeitbetreuung von Menschen mit COPD zu beantworten. Sie sieht die Einbindung aller an der Betreuung von Patient*innen mit COPD beteiligten Gruppen an der Versorgungsplanung als wichtiges Element der Versorgung an, denn nur so ist gewährleistet, dass sich die unterschiedlichen Kompetenzen bei der Betreuung sinnvoll ergänzen und aufeinander abgestimmt sind. Dass dies patientenrelevante Outcomes verbessern kann, lässt die Evidenz vermuten. Auch wenn die Evidenzqualität als niedrig anzusehen ist, spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung aus, weil relevante anzunehmende Effekte guter Koordination und multiprofessioneller Zusammenarbeit in diesen Arbeiten nicht erhoben wurden (z. B. Vermeidung von Doppelleistungen, möglichst geringe Belastungen durch die Therapie und deren Planung).

Die Leitliniengruppe möchte mit dieser Empfehlung auch die mögliche zukünftige Entwicklung beachten. Sie geht davon aus, dass vermehrt intensive Betreuungen für bestimmte Patient*innen durch hochqualifizierte Personen zu Hause notwendig werden könnten (Home-Care). Auch die – in einigen anderen Ländern bereits erfolgreich eingeführten – Programme zum Case-Management würden von einer Einbindung aller Beteiligten profitieren.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Diese Empfehlung basiert auf einer strukturierten Recherche sowie den klinischen Erfahrungen der Leitliniengruppe (Expert*innenkonsens).

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der strukturierten Recherche konnte ein Cochrane-Review 27058 identifiziert werden, welcher die Wirkung des Einsatzes von mobilen pneumologisch erfahrenen Krankenschwestern und -pflegern bei Patient*innen mit COPD in ihrer häuslichen Umgebung untersuchte. Diese Programme beinhalteten sowohl die Bereitstellung von sozialer Unterstützung, Aufklärung, Überwachung der Gesundheit und Kontaktaufnahme mit Ärzten*innen, als auch ein frühzeitiges Erkennen von Atemwegserkrankungen und die Unterstützung einer korrekten Inhalationstechnik durch die Gesundheitspfleger*innen. Wong et al. 27058 konnten zeigen, dass der Einsatz mobiler Gesundheitspfleger*innen sowohl die Mortalität verringern (95/1 000 vs. 127/1 000, OR 0,72 (95% KI 0,45; 1,15), I² = 23%, 5 RCTs, n = 711, Evidenzqualität niedrig), als auch die krankheitsspezifische Lebensqualität verbessern konnte (MD -2,61 (95% KI -4,82; -0,40); I² = 0%, 4 RCTs, n = 587, Evidenzqualität niedrig). Hinsichtlich möglicher Krankenhauseinweisungen konnten keine signifikanten Unterschiede eruiert werden (482/1 000 vs. 480/1 000, OR 1,01 (95% KI 0,71; 1,44); I² = 65%, 5 RCTs, n = 686, Evidenzqualität niedrig).

7.4 Kooperation von Ärzt*innen und Apotheker*innen

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-9

Der Arzt oder die Ärztin soll gemeinsam mit den Patient*innen über das Inhalationssystem entscheiden. Wenn sichergestellt werden muss, dass die Patientin oder der Patient das verordnete System erhält, soll bei "Aut-idem" ein Kreuz gesetzt werden.

Starke Empfehlung

7-10

Wurde das "Aut-idem"-Kreuz nicht gesetzt und sieht der Rabattvertrag einen Wechsel des Inhalationssystems vor, sollen Apotheker*innen pharmazeutische Bedenken im Sinne des Rahmenvertrages erwägen.

Starke Empfehlung

7-11

Bei einem nicht ärztlich intendierten Wechsel des Inhalationssystems (z. B. aufgrund von Rabattverträgen) soll der Apotheker oder die Apothekerin die Patient*innen in die korrekte Arzneimittelanwendung und Inhalationstechnik einweisen.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Besondere Bedeutung kommt der konstanten Verordnung ein- und desselben Inhalationssystems zu, sofern Patient*innen damit gut zurechtkommen (zur Evidenzbasis hierzu siehe Kapitel 5 Medikamentöse Therapie, Empfehlungen 5-4 bis 5-7). Der Austausch eines rabattbegünstigten Inhalationssystems mit vom Vorgängerpräparat abweichender Inhalationstechnik birgt das Risiko, sowohl den Therapieerfolg als auch die Arzneimittelsicherheit zu gefährden und zu einer schlechteren Adhärenz zu führen. Um die konstante Versorgung und damit die Sicherheit der Patient*innen zu gewährleisten, spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung dafür aus, das Aut-idem-Feld auf dem Rezept anzukreuzen (d. h. durchzustreichen – ein Austausch ist damit ausgeschlossen) (siehe Kapitel 5.3 Inhalationssysteme).

Für Apotheken besteht zudem die Möglichkeit, von der Verpflichtung zur Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel abzusehen, wenn der Abgabe aus Sicht des Apothekers oder der Apothekerin im konkreten Einzelfall pharmazeutische Bedenken entgegenstehen. Pharmazeutische Bedenken bestehen, wenn durch den Austausch des Inhalationssystems trotz zusätzlicher Beratung der Patientin oder des Patienten der Therapieerfolg oder die Arzneimittelsicherheit gefährdet ist. Hier spricht die Leitliniengruppe auf Basis eines Expert*innenkonsens ebenfalls eine starke Empfehlung aus, um alle Möglichkeiten des Systems zu nutzen, die dazu beitragen, Patient*innen ihr gewohntes System bereitzustellen und so die Sicherheit und Adhärenz nicht zu gefährden.

Erfolgt trotz dieser Empfehlungen ein ärztlich nicht intendierter Wechsel des Inhalationssystems, meist aufgrund vertragsrechtlicher Bestimmungen in der Apotheke, so ist eine Instruktion der Patient*innen in das neu verordnete Inhalationssystem unabdingbar, um bestmögliche Handhabung zu gewährleisten. Deshalb spricht die Leitlinie eine starke Empfehlung dafür aus. Die Verantwortung für eine adäquate Neuinstruktion liegt bei den abgebenden Apotheker*innen.

Die Leitliniengruppe weist darauf hin, dass das Setzen des Aut-idem-Kreuzes insbesondere bei Folgeverordnungen wichtig ist, um explizit einen ärztlich nicht intendierten Wechsel zu vermeiden. Im Rahmen einer Erstverordnung sieht sie hingegen nur dann eine Notwendigkeit dafür, wenn konkrete Anlässe – wie beispielsweise motorische Einschränkungen des Patienten oder der Patientin – gegen ein bestimmtes Inhalationssystem sprechen.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlungen 7-9 bis 7-11 basieren auf einem Expert*innenkonsens und den klinischen Erfahrungen der Leitliniengruppe sowie auf einer systematischen Recherche zum Wechsel von Inhalationssystemen aus der NVL Asthma 30515. Die Evidenzbeschreibung hierzu sowie Empfehlungen zur Anwendung von Inhalationssystemen und zur Instruktion finden sich im Kapitel 5 Medikamentöse Therapie.

 Patientenblatt Patienteninformation

Zur Unterstützung der Aufklärung und Beratung der Patient*innen wurde ein Patientenblatt zum Thema "Was tun bei unbekanntem Inhalier-Gerät" (siehe Patientenblätter) entwickelt.

 Informationen Vertiefende Informationen: Pharmazeutische Bedenken; Instruktion und Monitoring

Prozedere "Geltendmachen pharmazeutischer Bedenken"

Handelt es sich um eine Erstverordnung eines neuen Gerätes, soll auch bei systemgeschulten Patient*innen (d. h. jede/r Patient*in bekommt eine hinreichend qualifizierende Erstinstruktion) geprüft werden, ob sie mit einem konkret von der Kasse als Austausch vorgesehenen System vergleichbar gut versorgt werden kann. Diese Frage ist zu verneinen, wenn der Austausch zu einem Wechsel auf ein anderen Inhalatortyp (z. B. Dosieraerosol statt Pulver, atemzuggetriggertes Dosieraerosol statt herkömmliches Dosieraerosol, Wechsel auf ein Pulversystem mit deutlich abweichendem Gerätewiderstand) führen würde. Ein Wechsel innerhalb der selben Device-Gruppe (Dosieraerosol, Pulver mit vergleichbarem Gerätewiderstand) erscheint dagegen unproblematisch, bedeutet aber für den abgebenden Apotheker die ungeteilte und nicht delegierbare Verantwortung dafür,

  • dass eine erneute Erstinstruktion für das vorgesehene System vorgenommen wird und
  • die Prüfpflicht, dass sich hierbei keine Anhaltspunkte für Handhabungsprobleme ergeben.

Materielle Voraussetzungen für die Erstinstruktion/für ein Monitoring (alle Multiplikatoren)

Neben den notwendigen personellen Voraussetzungen für eine Erstinstruktion, d. h. mit der Funktionsweise des jeweiligen Inhaliergerätes vertrautes Personal, welches dieses auch demonstrieren und erklären kann, ist die Verfügbarkeit von Demogeräten aller relevanten Devicetypen (wichtigste Typen: herkömmliches Dosieraerosol, Autohaler, kapselbasierter Pulverinhalator, Pulverinhalator mit Blistersystem, Pulverinhalator mit Reservoirsystem, mechanische Taschenvernebler sowie Spacer mit Mundstück bzw. Gesichtsmaske) eine wichtige Voraussetzung. Der zu führende Bestand orientiert sich an den regionalen Verordnungsgewohnheiten, ist regelmäßig zu warten und muss ggf. erneuert werden. Da es nicht für jedes Gerät Einmalmundstücke gibt, empfiehlt es sich, Demogeräte möglichst in doppelter Ausführung vorrätig zu haben, damit nach der Demonstration durch die Schulenden und vor einem Üben der Patient*innen unter Aufsicht nicht erst das Gerät desinfiziert werden muss.

In Protokollbögen können Auffälligkeiten, die durch eine Nachschulung nicht behoben werden können, den behandelnden Ärzt*innen schriftlich kommuniziert und dabei konkrete Vorschläge gemacht werden (Welche Probleme liegen vor? Was wurde unternommen? Was wird als Alternative vorgeschlagen?).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-12

Apotheker*innen sollen bei der Abgabe von Medikamenten auf arzneimittelbezogene Probleme achten und Patient*innen bei Verdacht an den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin verweisen.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Leitliniengruppe spricht konsensbasiert eine starke Empfehlung aus, um Medikationsfehler und damit einhergehende potentiell mögliche Schäden für Patient*innen mit COPD zu vermeiden. Hintergrund hierfür ist, dass besonders bei Patient*innen mit COPD aufgrund von Komorbiditäten mit Polymedikation und damit einhergehend mit arzneimittelbezogenen Interaktionen zu rechnen ist und gerade in der Apotheke ein umfassender Überblick über alle eingenommenen Medikamente bestehen kann.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Die Empfehlung stellt einen Expert*innenkonsens dar und beruht auf der klinischen Erfahrung der Leitliniengruppe.

 Hinweis Hinweis: Dokumentation arzneimittelbezogener Probleme

Bei einem Verdacht auf arzneimittelbezogene Probleme bietet es sich an, in der Apotheke den konkreten Verdacht schriftlich zu dokumentieren – auch um eine korrekte Übermittlung, beispielsweise von theoretisch möglichen Problemen sowie Lösungsansätzen aus pharmazeutisch-pharmakologischer Sicht, an die behandelnden Ärzt*innen zu gewährleisten.

7.5 Einweisung in ein Krankenhaus

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-13

In folgenden Situationen sollen Patient*innen in ein Krankenhaus eingewiesen werden:

  • Verdacht auf lebensbedrohliche Exazerbation;
  • schwere, trotz initialer Behandlung persistierende oder schnell progrediente Verschlechterung;
  • schwere pulmonale Infektion;
  • Einstellung auf intermittierende häusliche Beatmung.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die konsensbasierte, starke Empfehlung beschreibt Situationen, die die Patientensicherheit akut gefährden oder eine intensive Überwachung erfordern und daher eine Einweisung in ein Krankenhaus notwendig werden lassen. Dabei ist zu beachten, dass diese Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und im Einzelfall individuell entschieden werden muss, ob sich weitere Gründe für eine Einweisung in ein Krankenhaus ergeben.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

In der strukturierten Recherche wurden keine systematischen Übersichtsarbeiten identifiziert, die die Kriterien für eine Einweisung in ein Krankenhaus bei Patient*innen mit COPD definieren. Die Empfehlungen beruhen daher auf klinischer Erfahrung und Expert*innenkonsens.

 Hinweis Hinweis: Anschlussheilbehandlung

Wird durch die Erkrankung ein Krankenhausaufenthalt notwendig, so empfiehlt die Leitliniengruppe noch während des Aufenthaltes die Indikation zu einer Anschlussheilbehandlung entsprechend Empfehlung 6-2 (Kapitel 6 Medizinische Rehabilitation) zu prüfen. Wann Rehabilitationsmaßnahmen indiziert sein können, beschreibt die Empfehlung 6-1.

7.5.1 Entlassmanagement

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-14

Bei Entlassung nach akutstationärer Behandlung sollen die verantwortlichen Krankenhausärzt*innen prüfen, ob die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- oder Hilfsmitteln, häuslicher Krankenpflege oder Soziotherapie gem. §39 SGB V für einen Übergangszeitraum von bis zu sieben Tagen indiziert ist.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Auf Grundlage des §39, Abs. 1a; SGB V bzw. des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG 2015) dürfen verantwortliche Krankenhausärzt*innen Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, häusliche Krankenpflege und Soziotherapie für einen Übergangszeitraum von bis zu sieben Tagen verordnen sowie Arbeitsunfähigkeit bescheinigen. Um die notwendige Versorgung der Patient*innen mit COPD gerade im Übergang zwischen den Sektoren zu thematisieren, betont die Leitliniengruppe die gesetzlichen Möglichkeiten des Entlassmanagements explizit mit einer konsensbasierten starken Empfehlung.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Diese Empfehlung beruht auf einem Expert*innenkonsens und bezieht sich auf das Sozialgesetzbuch V sowie das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz. Die Leitliniengruppe nimmt als Versorgungsproblem wahr, dass die gesetzlichen Möglichkeiten, Patient*innen bei der Entlassung zu unterstützen, zu selten genutzt werden (siehe auch Empfehlung 6-2).

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-15

Nach einer stationären Behandlung soll eine Überweisung zu einer Pneumologin oder einem Pneumologen empfohlen und vermittelt werden, wenn Patient*innen mit COPD im Krankenhaus mechanische Atemhilfen und/oder Sauerstofftherapie erhalten haben.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Nach Einschätzung der Leitliniengruppe ist ein Kontrolltermin bei einem/einer Pneumolog*in direkt nach der akutstationären Versorgung zu organisieren, wenn Patient*innen im Krankenhaus mechanische Atemhilfen erhalten haben. Grundlage für die konsensbasierte starke Empfehlung ist vor allem, die Indikation bzw. Notwendigkeit für eine weitere Behandlung mit Sauerstoff außerhalb der Akutsituation nochmals zu prüfen, um mögliche Überversorgung zu vermeiden (siehe auch Kapitel 4.6 Atmungsunterstützende Maßnahmen bei chronisch respiratorischer Insuffizienz).

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis und Versorgungsproblem

Diese Empfehlung basiert auf einem Expert*innenkonsens und den klinischen Erfahrungen der Leitliniengruppe.

7.6 Schriftlicher Aktionsplan

Empfehlungen/Statements

Empfehlungsgrad

7-16

Patient*innen mit COPD sollen einen schriftlichen Aktionsplan erhalten.

Starke Empfehlung

RationaleRationale

Die Evidenzqualität wird als moderat bis hoch eingeschätzt. Daher spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung dafür aus, dass alle Patient*innen mit COPD einen schriftlichen Aktionsplan erhalten. Ein schriftlicher Aktionsplan beinhaltet individuelle Therapie- und Notfallmaßnahmen. Neben der Erfassung der aktuellen Symptomatik unterstützt der Plan das Erkennen von und den Umgang mit akuten Symptomen. Sind die Inhalte vom Arzt bzw. von der Ärztin und dem Patienten bzw. der Patientin gemeinsam abgestimmt und werden diese bei den Verlaufskontrollen regelmäßig besprochen, ist ein Aktionsplan ein wertvolles Hilfsmittel für Patient*innen, das neben dem in der Evidenz beschriebenen Nutzen die Autonomie und die Fähigkeit zum Selbstmanagement stärkt.

 Evidenzgrundlage Evidenzbasis

Diese Empfehlung beruht auf der strukturierten Recherche und den klinischen Erfahrungen der Leitliniengruppe.

 Evidenzbeschreibung Evidenzbeschreibung

In der strukturierten Recherche wurden 3 Cochrane-Reviews identifiziert, welche die Effekte von Selbstmanagement und Aktionsplänen evaluierten 27047, 27011, 26992.

Lenferink et al. 27047 untersuchten Interventionen zum Selbstmanagement, welche auch einen schriftlichen Aktionsplan für Exazerbationen inkludierten. Die Autor*innen dieser Übersichtsarbeit konnten im Vergleich zu üblichen Verfahren (usual care) eine Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (SGRQ: -2,69 (95% KI -4,49; -0,9); I² = 46%, 10 RCTs, n = 1 582, Evidenzqualität hoch) und eine Reduktion von atemwegsbedingten Krankenhauseinweisungen (238/1 000 vs. 312/1 000; OR 0,69 (95% KI 0,51; 0,94); I² = 57%, 14 RCTs, n = 3 157, Evidenzqualität moderat) aufzeigen.

Howcroft et al. 26992 evaluierten die Wirkung von Aktionsplänen in Verbindung mit einer kurzen Schulung und ohne dazugehöriges Selbstmanagementprogramm. Hier zeigte sich u. a. eine Verbesserung der COPD-bedingten Hospitalisationsrate pro 100 Patientenjahre (Rate Ratio 0,69 (95% KI 0,47; 1,01); 1 RCT, n = 743, Evidenzqualität moderat), eine Reduktion von Krankenhausaufnahmen/Besuchen von Notaufnahmen (Rate Ratio 0,59 (95% KI 0,44; 0,79); 1 RCT, n = 743, Evidenzqualität hoch), reduzierte Krankenhausaufnahmen (154/1 000 vs. 209/1 000; OR 0,69 (95% KI 0,49; 0,97); I² = 0%, 2 RCTs, n = 897, Evidenzqualität moderat) sowie eine Verbesserung der atemwegsbedingten Lebensqualität (SGRQ: -2,82 Einheiten (95% KI -0,83; -4,81); 3 RCTs, n = 1 009, Evidenzqualität moderat).

Darüber hinaus untersuchten Zwerink et al. 27011 die Wirkung von strukturierten Selbstmanagement-Interventionen im Allgemeinen. Betrachtet man die Daten mit moderater Evidenzqualität, so konnten Effekte u. a. hinsichtlich reduzierten atemwegsbedingten Hospitalisationen (190/1 000 vs. 293/1 000; OR 0,57 (95% KI 0,43; 0,75); I² = 13%, 9 Studien, n = 1 749, Evidenzqualität moderat) und einer verbesserten Lebensqualität dargestellt werden (SGRQ: -3,51 (95% KI 5,37; -1,65); I² = 0%, 10 Studien, n = 1 413, Evidenzqualität moderat).

 Hinweis Hinweis: Strukturierter Aktionsplan

Entsprechende Aktionspläne zeichnen sich durch eine einfache, klare und verständliche Darstellung aus. Die Atemwegsliga bietet einen strukturierten Aktionsplan auf ihren Internetseiten auf Basis des COBRA-Schulungsprogrammes an (www.atemwegsliga.de/tl_files/eigene-dateien/Train-The-Trainer/Aktionsplan%20COPD.pdf).

NVL COPD, 2. Auflage, 2021. Version 1

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